Wenn die Katze fort ist, trauert ihre Dienerschaft. Ein Nachruf

Katzen erziehen noch den freiheitsliebendsten Mann zu willfährigem Personal

Stellen Sie sich vor, Sie liegen entspannt zu Hause. Es klingelt, irgendwer Unaufmerksames lässt minderen Besuch ein – solchen, der sich bei der ersten Begegnung nicht höflich und zurückhaltend beträgt, sondern direkt auf Sie zustürzt, Sie anfuchtelt, anquietscht und anfasst und gegebenenfalls sogar ableckt. Was tun Sie? Sie sehen zu, dass Sie Land gewinnen. Doch der Weg wird Ihnen verstellt, Geschrei und Gegrapsche wollen nicht vergehen, Sie fauchen, mehrfach und ernsthaft, doch auch das haucht dem distanzlosen Gegenüber keine Zurückhaltung ein. Und dann, in höchster Not, gibt es eins mit der Tatze auf die Omme, die Krallen schön ausgefahren. Das hilft, wenigstens eine Weile.

Wenn man sich eine Katze vom Leib halten will, muss man sich also nur wie ein Kretin benehmen, vor Begeisterung mit den Armen ruckeln, sinnlos „Ach wie süß!“ oder ähnlich Intelligenzfreies kreischen, und das Tier packen und knuddeln, ob es will oder nicht. Eine Katze ist doch kein Baby – und erst recht kein Yorkshire-Terrier, keines dieser „Hündchen mit blauer Schleife und rosa Arschloch“, wie Hannes Wader sie in seinem großen Lied „Der Tankerkönig“ beschrieb: Elendsgeschöpfe, die von nicht minder zweifelhaften Damen jederlei Geschlechts in der Handtasche spazieren getragen oder im Schoß gehalten werden, weshalb sie in der Sprache des Boulevards auch „Fotzenlecker“ genannt werden.

Katzen zählen zu den meistverkitschten Lebewesen, doch dazu tragen sie selbst relativ wenig bei, allein schon aus Faulheit und Desinteresse. Katzen erziehen noch den freiheitsliebendsten Mann zu willfährigem Personal. Was Frauen zurecht untersagt ist, tun sie ganz ungeniert: quengeln, maunzen und mit stummem Vorwurf die Nerven zerfetzen, bis man sich unterwirft und ergibt. Obwohl doch Unterwerfung – außer in der Sicht von Feldherren, Frauen und Katzen – überhaupt keine Zivilisationsleistung ist.

Als ich die Katze kennen lernte, waren wir beide schon ziemlich alt: ich vierzig, sie elf. Sie war nicht meine Katze, oder richtiger gesagt: Ich war nicht ihr Bediensteter, aber ich besuchte sie oft. Eigentlich war ich ja weniger bei ihr zu Besuch als bei ihren Angestellten, aber das sah die Katze völlig anders. Gerade weil ich auf Abstand hielt, hatte ich sie am Hals. Es dauerte nicht lange, und sie hatte mich um ihre Pfoten gewickelt. In einer für sie höchst bequemen und behaglichen Position lag sie auf mir herum und schnurrte glücklich wie ein Gummimotor. Ich war glücklich, wenn sie schnurrte – und schnurrte sie nicht, wurde ich unruhig, ob sie wohl nicht glücklich wäre. Genau das können Katzen. „Von Katzen lernen heißt siegen lernen“, bekannte kapitulierend der Katzenbutler Robert Gernhardt. Als ich zu Weihnachten ein Kaninchen schmorte, reservierte ich der Katze Herz, Nieren und Leber und hackte ihr diese Köstlichkeiten anderntags klein, während sie nur antreibend mit der Pfote aufs Parkett trommelte und im Befehlston miaute: Los, Sklave! Komm in Schweiß! Mach hinne!

Wie hat dieses kleine Viech genervt: Nach zweimaligem Fressen pappsatt anklagend um mehr geschrien, als hätte man sie schmählich vernachlässigt; vor der Schlafzimmertür gejallert und – ich bin sicher: stets wissend und absichtlich – Schlafende und Liebende gestört; dem herbeieilenden Zuneigungslieferanten schweiferhoben die olle Rosette gezeigt, falls der es wagte, sich um wertvolle Hundertstel zu verspäten, und nicht zuletzt Gaben verteilt, wie Kinky Friedman sie in seinem Roman „Frequent Flyer“ beschreibt: „Katzen machen einem oft Geschenke. Mal ist es ein Vogel, mal ein anderes Elendshäufchen. Dieses hier hatte keine Flügel.“ Die schöne Frau, die der Katze als Dienerin beigegeben war, drohte der Katze manchmal: „Du kommst zum Abdecker.“ Es war die reine Hilflosigkeit, die Katze wusste das und grinste milde verächtlich.

Ganz plötzlich, von einem Tag auf den anderen, wollte sie nicht mehr trinken, nicht mehr fressen und, das war wirklich besorgniserregend: niemandem mehr auf die Ketten gehen. Ihr Lebensnerv war durchtrennt. Nahezu reglos lag sie auf einem warmen Platz, unerreichbar geworden für jedwede Bezeugung von Zuneigung und Liebe. Der Tod kam gnädig: schmerzarm und schnell.

Die Katze lag starr. Mit den Tränen, die sie benetzten, hätte man eine kleinere Wüste befruchten können. Räkelte sie sich nicht? Streckte sie nicht die Pfoten? Gähnte sie nicht und lachte uns aus? Nein, sie war fort, wirklich fort. Wenn eine Katze keinen Gefallen mehr daran findet, dass man sich für sie zerreißt, dann ist sie wirklich tot.

In eine weiße Spitzendecke gewickelt, wurde die Katze in einen kleinen alten Lederkoffer gelegt. Dann wurde die Fahrkarte für ihre letzte Reise gelöst. Es war eine einfache Fahrt. Auf die Rückseite des Fahrscheins hatte ein Katzenengel geschrieben: „Liebe Miezi, es war ein schönes Leben mit dir.“ WIGLAF DROSTE