piwik no script img

Wenn Zahlen Possen treiben

Pionier des Trickfilms: Kurzfilme von Norman McLaren im Metropolis  ■ Von Alexander Diehl

Seine wegweisende Technik gründete sich auch in fehlender Ausstattung: Weil er zwar Zugriff auf einen Projektor, nicht aber die dazu passende Kamera hatte, begann Norman McLaren damit, direkt auf das Filmmaterial, den Filmstreifen zu malen. Auch vor der Bearbeitung durch scharfe, spitze Gegenstände war das Zelluloid in McLarens Händen nicht sicher. Was ansonsten zum baldigen Ableben eines Films führt, dient hier überhaupt erst seiner Erstellung.

Dabei ist McLaren kein Scharlatan, geht es ihm nicht um Bilderstürme. Er schabt und kratzt, färbt und malt in voller Achtung vor Medium und Material. Unter dem schönen Titel „Abs-traktion & Jazz“ widmet sich das Metropolis mit einer Auswahl von Kurzfilmen dem Schaffen Norman McLarens. Als er 1987 im Alter von 73 Jahren starb, hatte er mehrere hundert Preise und Auszeichnungen für seine Arbeiten erhalten – Arbeiten, die auf reizvolle Weise von knochigem Konzept und spielerisch-unterhaltsamer Umsetzung gleichermaßen geprägt sind.

Norman McLaren wurde 1914 in Schottland geboren und ging 1932 an die Glasgow School of Art. „Im zweiten oder dritten Jahr“, erinnerte er sich in einem Fernsehinterview, „langweilten mich die üblichen Kursinhalte.“ Seine Suche nach „etwas mit Musik“ und Bewegung brachte ihn auf das Medium Film. Obwohl er relativ früh in der eingangs erwähnten Weise bereits belichtetes Filmmaterial sozusagen zweckentfremdete, sind die ältesten fertiggestellten Filme McLarens „richtig“ fotografierte, etwa Kurz-Dokumentationen über den Alltag an der Kunstschule.

Nach seinem Abschluss ging McLaren nach London, arbeitete unter anderem für eine Werbefilm-Firma, drehte aber auch Wochenschau-Beiträge aus dem Spanischen Bürgerkrieg. 1937 stieß er zur Filmabteilung des British General Post Office, wo man sein Talent erkannt hatte. Zu dieser Zeit hatte er begonnen, auch mit den Tonspuren zu experimentieren – nicht zuletzt beeinflusst auch durch deutsche Experimentalfilme aus den frühen 30er Jahren.

Weil er befürchtete, es könnte Krieg geben in Europa, wie er später sagte, aber wohl auch aus Neugier zog McLaren nach New York und verdingte sich als unabhängiger Filmemacher. Überdies und nicht zuletzt war er möglicherweise der Anlass für das auf nicht gegenständliche Kunst spezialisierte Guggenheim Museum, sich auch mit nicht gegenständlichem Film zu befassen. 1941 folgte er der Einladung ans im Aufbau befindliche National Film Board of Canada, wo er der erste Trickfilmer war. Im ganzen Land rekrutierte er Gleichgesinnte und produzierte im Folgenden dutzende Kurzfilme zwischen Witz, akadamisch geschulter, gleichwohl nicht akademischer Schläue und bloßem Vor-den-Kopf-Stoßen seiner Zuschauer; nicht zu vergessen auch seine UNESCO-Auftragsarbeiten, die sich die Vorzüge des Bildes zur Wissensvermittlung an analphabetische Teile der Weltbevölkerung zunutze machen sollten.

Im Metropolis laufen jetzt keine von McLarens Aufklärungs- oder Dokumentararbeiten, sondern elf seiner filmischen Etüden zwischen Zeichentrick und nachbearbeitetem Filmstreifen, Stop-Motion und der Erforschung der Physiologie des Auges: Da zeigen sich Mikrofonständer widerspenstig gegenüber ihrem Benutzer, treiben Zahlen Possen. Immer wieder von Bedeutung dabei ist Musik: Farbige Linien interpretieren in Begone Dul Care die Klänge des – seinerzeit – heißen Jazz-Musikers Oscar Peterson, geometrische Abstraktionen trommeln auf der Tonspur (Ten Point Percussion), oder das Traditional „Listen to the Mockingbird“ wird von Farbspielen umgesetzt. Dieses Ziel, „etwas mit Musik zu machen“, hätte McLarenneben manch anderemalso erreicht.

Mittwoch, 21.30, Metropolis

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen