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Wenn Schwer bepackt anreisende Wesen im Marsch ihre Zelte aufschlagenAndrang in Wilhelmsburg

Foto: Julia Wycisk

Inselstatus Leyla Yenirce

Liebe Insel, das letzte Wochenende war invasiv. Hunderte Riesenschildkröten mit Glitzer im Gesicht und Panzern aus Zelten und Schlafsäcken wanderten über die Insel. Ihre Destination: das Dockville Festival in Wilhelmsburg. Das Wetter: schlecht.

Aber die Festivalbesucher*innen sind resistent und streifen auch bei tobendem Regen unbeirrt mit ihrer Campingausrüstung umher. Schließlich zahlen die Menschen mit ihren großen bunten Sonnenbrillen viel Geld dafür, auf dieser kommerziellen Musikveranstaltung im Schlamm zu zelten. Man kennt die Riesenschildkröten auch unter der Abkürzung ‚Teenies‘, Jugendliche oder 14- bis 25-Jährige, die den ganzen Sommer darauf hin fiebern, ein Wochenende ziemlich teures Bier zu trinken, andere Menschen in die Gummistiefel zu pinkeln oder die Strophen ihrer Lieblingssongs in schiefer Stimmlage mitzusingen.

Das sage ich erhaben, denn ich stehe ja auf der Seite der Anwohner*innen Wilhelmsburgs, obwohl ich früher selbst ein Mal eine dieser Riesenschildkröten war. Meine erste Begegnung mit dir liebe Insel fand nämlich nicht erst durch einen Wohnungswechsel statt, sondern schon vor einem Jahrzehnt, als ich selber auf das Dockville-Festival ging. Damals wusste ich noch nicht, was das Reiherstiegsviertel ist und dass uns später mal eine tiefe Freundschaft verbinden wird. Was ich jedoch wusste, war, welche*r Künstler*in wann auf welcher Bühne spielt.

Heute kann ich es gut verstehen, wenn die Menschen im Viertel genervt sind, wenn sie keinen Platz mehr in der S-Bahn ergattern, weil die Sitze überall mit Wurfzelten vollgestellt sind. Wenn die Teenies grölend durch die Gegend laufen, schaue ich sie zwar vorwurfsvoll an. Aber dann erinnere mich an mein altes Festival-Ich zurück. Es ist ja auch nicht alles schlecht. Immerhin bekommen Anwohner*innen vergünstigte Tickets, auch wenn ich finde, dass die Wilhelmsburger*innen sie kostenlos bekommen sollten. Warum? Sie müssen neben vollen S-Bahnen nämlich ziemlich viel Mitleid ertragen.

Wer nämlich in die hoffnungsvollen Gesichter der Riesenschildkröten blickt, die sich in kurzen Hosen Richtung Festivalgelände bewegen, stellt fest, dass es viel zu kalt ist. Das Ticket, das damals noch 60, heute über 100 Euro kostet, macht es einem auch nicht gerade wärmer. Dafür gibt es auf der Insel glücklicherweise viele Cafés und Dönerbuden, genug für alle Fesivalbesucher*innen zusammen. Falafel im Brot oder Soja-Capucchino halten zwar nur für eine kurze Zeit warm, aber satt hält es sich im Festivalmatsch deutlich Mal besser aus.

Leyla Yenirce ist Kulturwissenschaftlerin und schreibt wöchentlich aus Wilhelmsburg über Spießer*innen, Linke, Gentrifizierer*innen und den urbanen Wahnsinn in der Peripherie.

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