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Wenn Pferde singen

■ Slapstick-Elemente in der Totalen: Mit Kiyoshi Kurosawas Als Mensch zugelassen – License To Live beginnt das 3001 eine kleine Reihe mit japanischen Filmen

Freunde des klassischen amerikanischen Kinos wissen: In jedem wirklich guten Film kommen Pferde vor und es wird mindestens einmal gesungen. Alles andere ist Käse. So auch in Kiyoshi Kurosawas heimlichem Berlinale-Hit Als Mensch zugelassen/License To Live. Weil es sich dabei aber um einen japanischen Film handelt, ist das alles nicht so einfach. Zwar spielt der Film, bei dem man sich nicht einmal sicher ist, ob es sich um eine Komödie, ein Beziehungsdrama oder eine philosophische Tragödie handelt, auf einer Ponyfarm, und gesungen wird auch. Aber eigentlich geht es um etwas anderes.

Der 24-jährige Yutaka Yoshii (Hidetoshi Nishijima) erwacht nach zehn Jahren plötzlich aus dem Unfall-Koma. Einiges hat sich in dieser Zeit getan: Seine Eltern leben nicht mehr zusammen, er hat den Körper eines Erwachsenen, und die Sowjetunion existiert auch nicht mehr. Als wäre das nicht schon genug aufzuarbeiten, muss der stille Yutaka gleich noch eine andere Veränderung schlucken: Auf dem vorstädtisch gelegenen Ponyhof, den seine Familie einst unterhielt, betreibt Fujimoro (Koji Yahusho, The Eel), der nonkonformistische Freund seines Vaters, eine Karpfenfarm, auf der Geschäftsleute zur Entspannung angeln. Weil Fujimoro zudem der Einzige ist, der sich des zurückgekehrten Yutaka annimmt, beschließt er, auf dem Hof einzuziehen, um das Ponygeschäft seiner Kindheit wieder aufzubauen.

Dazwischen versucht er, sein verpasstes Leben zu rekonstruieren, trifft Mutter, Schwester, Vater und den Mann, der ihn einst überfuhr. Der kam zehn Jahre lang für Krankenhauskosten Yutaka auf und wird durch dessen Wiedererwachen in größte Seelenpein gestürzt: Während der letzten zehn Jahre waren sie beide unglücklich, jetzt aber bliebe alle Verzweiflung an ihm allein hängen. Ob Yutaka das alles versteht, bleibt fraglich, und Kiyoshi Kurosawa tut wenig, seine Zuschauer psychologisch aufzuklären.

Im Gegenteil. Der spätestens seit Cure als einer der vielversprechendsten japanischen Nachwuchsregiseure gefeierte Kurosawa inszeniert seine exzentrische Geschichte gleichermaßen enigmatisch: Sein bevorzugtes Stilmittel ist die Totale, geschnitten wird wenig, ab und zu folgt eine Handkamera den Protagonisten. Gelegentlich unterbrechen kleine Slapstickelemente die stets neu scheiternde Suche nach gegenseitigem Verständnis im scheinbar unzerstörbaren Kosmos Familie bis der Held am Ende so zufällig wieder aus dem Leben befördert wird wie er es betrat. Die Dialoge in dieser existenziellen Odysee durch die condition humaine lassen sich dabei an einer Hand abzählen. Und gerade diese gänzlich pathosfreie Stille ist es, die einen diesen ungeheuer langsamen Film voller Spannung verfolgen lässt, sofern man sich auf Kurosawas auch für das japanische Kino ziemlich ungewöhnliche Erzählweise tatsächlich einlässt.

Wer das durchgesessen hat, kann Shunji Iwais auf diesen Seiten bereits zu Genüge gewürdigten Yentown – Swallowtail Butterfly noch einmal goutieren. Seine MTV-beeinflusste Bildersprache und das Genre des Gangsterepos nutzt Iwai, um all jene Verhältnisse selten präzise ins Visier zu nehmen, die sich, um hier Marx zu bemühen, „hinter dem Rücken der Subjekte einstellen“: Sie heißen Globalisierung, Neoliberalismus, Migration, Rassismus und Ghettoisierung. So könnte der virtuose Aufstieg vom Abstrakten zum Konkreten als Geschenk an die Möglichkeiten Kino aussehen. Tobias Nagl  

License To Live/Als Mensch zugelassen: 22.6 bis 29.6., jeweils 20.30 Uhr Yentown/Swallowtail Butterfly: 29.6. bis 5.7., 22.30 Uhr (nicht am 2.7.), jeweils 3001

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