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Wenn Menschenfresser weinen

■ Das Rocktheater Reinecke Fuchs mit »Rabenschwarz« in der Akademie der Künste (West)

Foto: Frank Roland-Beeneken

Rocktheater? Das ist laute, schnelle, schlechte Musik, protestierende Texte, provozierende Darsteller, Bierflaschen am Fußboden des Saales, der sowieso dem Ritus des Gruppenprotestes huldigt. Reinecke Fuchs macht schon lange Rocktheater — und doch trifft nichts vom eben Erwähnten auf sie zu. Um es vorweg zu sagen: daraus besteht auch ein wesentliches Problem des Abends.

Mit historisch gewachsenen Couplets, Friedrich Hollaender und Bertolt Brecht vereinend, Ringelnatz und Erich Mühsam zitierend, versucht hier ein Allround Team zwischen Schlagzeugsoli und artistischen Einlagen die zarte Botschaft der stürmischen 20er zu vermitteln: Ein Mensch ist immer doch ein Mensch. Auch unter den groteskesten Verhältnissen. Die Rockmusik wird hier leiser benutzt, arrangiert von Lüül bleibt sie, was sie ist: die Unterlage des Inhalts, bisweilen der Initialzünder für neue Ideen.

Denn was (vor allem von Chris Dehler und Silvia Christoph) am Bühnenvorderrand geboten wird, das hätte die Gefühlsbomben der Musik nicht wirklich nötig. Es harmoniert dennoch in den meisten Fällen und oft gibt es eine schöne Symbiose: »Silvester bei den Kannibalen« ist so ein Stück; wenn Menschenfresser weinen, dann steht der Saal in Tränen, und mit Koma am Schlagzeug (das ist kein Stil, sondern ein Name) gelingt die wunderbar einfache, aber perfekte In-Szenierung des »Katzenjammers«, der Weichheit der bösen Männer.

In der Akademie der Künste spielt (unter der Regie von Doris Heiland) eine starke Truppe. Ohne Senatsförderung, mit wenig Echo in der Berliner Szene. Alleine schon Chris Dehlers Spiel würde genügen, den Abend zu vergnügen. Er ist so vielseitig, daß es bald Angst und Bange macht: Von der artistischen »Groteske« im »erotischen Variete«, wo er, um nur ja seinen Text loszuwerden einen Barhocker von oben bis unten erkämpft, bis zum rrusischen Muetterrchen in Hollaenders sagenhaft komischem »Filet Stroganoff« — hier bietet einer seine Künste wie einen geöffneten Stapel Spielkarten an.

Die Texte, die Musik, die Darsteller, die Zuschauer zueinander zu bringen — hier bricht die Aufführung bisweilen, besonders die Heterogenität der Besucher macht es schwer: Dem einen »fallen gleich die Ohren ab«, dem anderen »fehlt der Drive«. Joachim Schurig

Noch bis So um 20.30 in der Akademie der Künste. Vom 17.-20.6 im Berliner Prater

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