Wenn Journalisten über ihre Verleger schreiben: „Kritische Größe zur Profitabilität“
Innere Pressefreiheit?
Wenn Journalisten über etwas berichten müssen, das die Interessen ihrer Verleger berührt, dann scheinen sie alles zu vergessen, war sie über „innere Pressefreiheit“ eventuell einmal gelesen haben.
„Nordwest.net mit neuer Ausrichtung“ ist die Überschrift über der Meldung, mit der der Weser Kurier am Samstag die Einstellung des redaktionellen Angebotes und die Entlassung des entsprechenden Personals dieses Internet-Dienstes meldet. Verschämt steht im letzten Satz etwas von „Sozialplan“.
Wer die Internet-Seite des Weser Kurier aufsucht, sieht dort groß das Logo „NWN“ prangen: NWN ist der Internet-Dienstleister des Weser Kurier, der Weser Kurier bietet seinen LeserInnen Internet-Adressen über nwn.de an, der Verlag des Weser Kurier ist wesentlicher Gesellschafter. Solche Zusammenhänge werden nicht erklärt in dem Bericht über den Zusammenbruch der „in Oldenburg ansässigen Nordwest.net GmbH“. Könnte es sein, dass Nordwestnet seine Redaktionsarbeit einstellen muss, weil unter anderem der Weser Kurier die online-Nachrichten nicht mehr abkauft? Könnte es sein, dass die Überschrift von „neuer Ausrichtung“ schwafelt, weil die eigene Verlagsentscheidung dazu beigetragen hat, dass NWN zusammenbricht und bis zu 35 Leuten entlassen muss? In dem Text wird das verschämt so formuliert: „Als Grund führt die Gesellschaft eine drastisch zurückgegangene Nachfrage nach Nachrichteninhalten an…“ Nachfrager war bisher eben ganz wesentlich der Weser Kurier selbst.
Das Problem Wie berichte ich über die Geschäftspolitik des eigenen Verlegers? haben auch andere. Am Wochenende stand im Weser Report ein Bericht über die Firma Eventim AG. Unternehmensberichte sind sonst nicht die Spezialität des Anzeigenblattes, aber diesmal handelt es sich eben um eine Firma, deren Anteile mehrheitlich dem eigenen Verleger Klaus Peter Schulenberg gehören. „eb“ steht über dem Text, das ist die Abkürzung von „Eigener Bericht“ und ein Zeichen dafür, dass eine fremde Pressemitteilung wörtlich abgedruckt wurde. „Die CTS Eventim AG, führender Ticketing-Vermarkter für Konzert-, Theater- und Sport-Events sowie Live-Entertainment, hat im vierten Quartal beim Internet-Ticketing die kritische Größe zur Profitabilität erreicht“, heißt die Nachricht.
Was, bitteschön, ist die „kritische Größe zur Profitabilität“? Heißt das, dass der Umsatz stimmt, aber die Rendite noch nicht? Wie ist die Bilanz des Internet-Ticketing in Zahlen? Solche kritischen Fragen darf man offenbar der Pressestelle des eigenen Verlegers nicht stellen und druckt lieber seine PR-Texte unter dem Kürzel „eb“. K.W.
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