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Wenn Europa kotzen könnte

Robert Menasses Roman „Die Erweiterung“ zeichnet die Karikatur einer zerstrittenen EU – das Nationaltheater Mannheim findet für die Bühnenfassung starke Bilder und leise Hoffnung

Einigkeit sieht anders aus. Szenenfoto Foto: Christian Kleiner

Von Björn Hayer

Wie schön das doch wäre: Die Regierungschefs der EU-Staaten fänden sich auf einem Schiff wieder, das in aller Einigkeit einen Kurs einschlägt, ganz so, als sei sämtliche Kleinstaaterei überwunden. Was nach einem Sinnbild klingt, wird zumindest in Robert Menasses zweitem Roman seiner Europatrilogie, „Die Erweiterung“, Realität. Die einzige Krux: Die Akteure handeln keineswegs gemeinschaftsorientiert. Albanien, einer der langjährigen Beitrittskandidaten, wird dabei zum Spielball nationaler Egoismen. Allen voran Polens rechtspopulistischer Präsident nutzt nämlich die Gunst der Stunde, um mittels außenpolitischer Trickserei die Beliebtheitswerte im eigenen Land zu steigern. Was soll schließlich ein partiell muslimischer Staat in einer westlichen Union?

Dass sich wiederum sein albanischer Kollege dieses Manöver nicht gefallen lässt, ist klar, sodass auch er einen provokativen Schachzug wählt. Nun schwadroniert er öffentlich von einem „Großalbanien“ und wählt als sichtbarstes Zeichen für seinen Vorstoß den Helm des wichtigsten, christlichen Befreiungskämpfers des Landes, nämlich des mittelalterlichen Helden Skanderbeg. Man könnte diese verwinkelte Geschichte noch weiterführen, die der Autor so spielerisch wie grotesk erzählt. Nachdem sich somit schon der literarische Text als hochkomplex erweist, sieht sich eine Bühnenadaption mit umso mehr Herausforderungen konfrontiert.

Am Nationaltheater Mannheim hat man sich dennoch dieser herkulischen Aufgabe angenommen – und ist etwas ins Stolpern geraten, weil man sich zu sehr am Plot von Menasse abarbeitet. Viele Rollenwechsel auf der Bühne zeichnen zwar das dichte Personaltableau der Vorlage nach, sorgen aber für Desorientierung im Publikum.

Gleichzeitig scheint diese diffuse Form stimmig für ein Pano­rama der oft gespaltenen EU. Immer wieder ziehen sich die Schau­spie­le­r:in­nen an einem Kleiderständer im Hintergrund um, ändern damit Haltungen und Positionen, womit sie die Wankelmütigkeit so mancher Regierungschefs auf den realen Gipfeltreffen widerspiegeln.

Zwischen alledem führt ein Erzähler (charmant: Matthias Breitenbach) durch den Abend. Er versucht die Fäden zusammenzuhalten. Mal bewegen wir uns in Albanien, wo ein Dichter dem Regierungschef kriminelle und imperiale Fantasien einflüstert, mal in Polen, wo ein Jugendfreund des polnischen Regierungschefs über dessen rechtskonservativen Drall verzweifelt. Verkörpert wird Letzterer grandios von Paul Simon. Im Wolkenauto ankommend, redet er sich in einen regelrechten Hass-Schwall hinein und wütet (sehr unterhaltsam!) mit einer Axt über das Parkett – ein starkes Bild für eine Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Politik, das die Zu­schaue­r:in­nen sogar mit einem Szenenapplaus belohnen.

Viel Aktion also im von ­Martha-Marie Pinsker entworfenen Bühnenraum. Wir schauen auf eine gänzlich hellblaue, quadratische Kulisse. Darüber einige Schäfchenwolken. Idyllisch, könnte man sagen. Wenn die Reling aufgebaut und der Schiffsschornstein ins Zentrum gefahren wird, erinnert der farbliche Hintergrund natürlich an das Meer und den Horizont. Ebenfalls soll man hier an das zumindest im Programmheft erwähnte „Schiff der Träume“ von Federico Fellini denken, das in der Inszenierung allerdings kaum mehr von Relevanz ist.

Darüber hinaus lässt das Setting Assoziationen zu einem Bluescreen von Nachrichtensendungen zu. So wie er für filmische Einspieler gebraucht wird, so kann man auch die EU insgesamt als eine Projektionsfläche für diverse Visionen und Fantasien ansehen.

Darf am Schluss dann noch der gelbe Sternenkranz der Union vor dem Blau schimmern? Die 1989 geborene Anna-Elisabeth Frick, eine der talentiertesten Regisseurinnen ihrer Generation, bedient sich gern dieses Symbols. Während es zuletzt ähnlich einem Ufo über allem schwebt, herrscht darunter das blanke Chaos. Auf dem Schiff hat sich ein Magen-Darm-­Virus ausgebreitet, der die sich erbrechenden Ego-Player dahinrafft. Inmitten sämtlicher umgeworfener Requisiten – vom Spielzeughund mit Wischmoppfell bis zu Holzrosen – liegen die Dar­stel­ler:in­nen am Boden. Treffender könnte man einen Staatenbund im Siechtum gar nicht in Szene setzen.

Dazu erklingt kaum hörbar von einer Violine die Europahymne aus Beethovens 9. ­Sinfonie. Sie, ein Ruf aus einer verschütteten Vergangenheit, verhallt im Nichts. Oder ist sie doch eine leise Melodie der ­Hoffnung? Es bleibt offen, genauso wie der Ausgang von Menasses Trilogie. Diese fu­rio­se Premie­re lässt Vorfreude aufkommen auf deren noch nicht erschienenen dritten und ­letzten Part.

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