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Archiv-Artikel

Wenig Grund zum Neid

betr.: „Für den Osten keine Extras mehr“, taz vom 18. 11. 03

Dass Fördermaßnahmen für die ostdeutsche Wirtschaft oft nicht die gewünschten Ergebnisse gezeitigt haben, ist sicher gut beobachtet, daraus den Schluss zu ziehen, dass die ganze Sache besser abgeblasen werden sollte, finde ich sehr hilflos. Gibt’s dazu sonst nichts zu sagen?

Am meisten geärgert habe ich mich über das Abschreiben der nicht so neuen Behauptung, die Renten im Osten seien im Durchschnitt höher als im Westen. Das ist so ungenau, dass man es schon als (bewusste?) Irreführung bezeichnen kann. Es handelt sich hier um die Bezüge aus der gesetzlichen Rentenversicherung, und die lagen laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2002 im Westen für Arbeiter bei durchschnittlich 602 Euro monatlich und für Angestellte bei 817 Euro, im Osten 731/851 Euro. So weit, so gut, aber: Die Rente eines ostdeutschen Durchschnittsverdieners mit 45 Versicherungsjahren beträgt 1.021,50 Euro, eines westdeutschen mit der gleichen Versicherungszeit 1.163,70 Euro (BfA). Die höhere Durchschnittsrente im Osten ergibt sich aus den anderen Erwerbsbiografien: Die Lebensarbeitszeit war in der Regel länger und der Anteil berufstätiger Frauen weitaus höher. Es gibt also auch viel mehr Frauen mit eigener Rente.

Im Übrigen sind die Bezüge aus den gesetzlichen Rentenkassen so ziemlich die einzige Altersversorgung, die die Ostdeutschen bekommen. Betriebsrenten, Zahlungen aus privaten Zusatzrentenversicherungen und Beamtenpensionen kommen fast nicht vor. Keine Angst, es gibt wenig Grund zu Neid, und es hat sich auch keiner zugunsten der Ostdeutschen verrechnet.

Vor allem die Westbeitragszahler tragen die Ostrenten und -arbeitslosengelder? Also, ein paar berufstätige Ostdeutsche gibt es schon noch, und die zahlen sogar Soli. Einigermaßen erschreckend, dass die taz durch solche Artikel die Konstruktion eines ostdeutschen und eines westdeutschen Kollektivs im ökonomischen Sinne propagiert. Ein ganzes Volk von wirtschaftlichen Versagern wird von den Leistungsfähigen durchgefüttert. Und kommt dann doch mal ein Unternehmen auf die Beine (was laut dem zitierten Fortschrittsbericht Ost durchaus passiert, vor allem in der verarbeitenden Wirtschaft), wird gleich Wettbewerbsverzerrung (durch Ostförderung) geschrien. Okay, das wenigstens nicht so sehr in der taz.

Arbeitsproduktivität ist übrigens kein Instrument zur Messung von Arbeitsleistung (ein hoher Anteil an Beschäftigten im öffentlichen Dienst senkt zum Beispiel die Produktivität). Niedriges Produktivitätsniveau lässt gleich an Faulheit und technische Rückständigkeit denken, deshalb sollte mit solchen Begriffen vorsichtig umgegangen werden. Vielleicht könnte man sie ja ab und zu erklären, um eine differenziertere Darstellung zu ermöglichen. […] BARBARA SCHMIDT, Kahla