Weltweiter Getreidebedarf wächst: Hohe Nachfrage, schlechte Ernte
Dank der wachsenden Nachfrage steigen die Lebensmittelpreise. Gleichzeitig sind die Getreidevorräte so niedrig wie 30 Jahre nicht mehr. Nun will die EU Brachflächen freigeben.
BRÜSSEL taz Die Zeit der Milchseen und überfüllten Getreidespeicher in Europa ist erst mal vorbei. Seit Chinesen und Inder ihre Speisekarten mit Pasta und Joghurt bereichern und Rapsöl im Tank das Klima retten soll, steigen die Lebensmittelpreise. Deshalb regt die EU-Kommission in ihrem Papier zur Agrarreform an, die Brachflächen in der EU ganz abzuschaffen. Bislang müssen zehn Prozent der Fläche brachliegen, sonst gehen Fördermittel verloren. Allerdings erteilte die EU zuletzt Ausnahmegenehmigungen.
In den vergangenen acht Jahren wurden laut der Welternährungsorganisation FAO weltweit fast jedes Jahr mehr Mais, Weizen, Roggen und Gerste verbraucht, als geerntet wurde, so dass man auf Vorräte zurückgreifen musste. Die Vorräte sind auf den niedrigsten Stand seit 30 Jahren gesunken und könnten die Weltbevölkerung nur noch 57 Tage ernähren. Das Problem entsteht durch schlechte Ernten, eine steigende Weltbevölkerung und veränderte Essgewohnheiten gerade in Asien.
Die für Agrarfragen zuständige EU-Kommissarin Mariann Fischer Boel meint, dass vor allem die schlechte Ernte im Vorjahr und die ungünstigen Wetterbedingungen in diesem Jahr für den Engpass verantwortlich seien. Zu wenig Regen im April, zu viel im Juni und ein je nach Lage extrem heißer oder extrem nasser Sommer hätten die Erträge drastisch verschlechtert. Die Reserven in der EU seien von 14 Millionen Tonnen auf eine Million Tonnen Getreide geschrumpft. Der Weltmarktpreis für Weizen ist von 130 Euro pro Tonne im Vorjahr auf knapp 200 Euro pro Tonne gestiegen, was auf die Lebensmittelpreise durchschlagen wird.
Einen wichtigen Aspekt im verschärften Konkurrenzkampf um knappere Getreideressourcen erwähnt die EU-Kommissarin allerdings nicht. Immer mehr Getreide wandert in Destillieranlagen, um zu Bioethanol verarbeitet zu werden. Der hohe Ölpreis macht die Ethanolproduktion aus Mais und Weizen finanziell attraktiv.
Lester Brown vom Earth Policy Institute in Washington zeigt mit Zahlen aus den USA, wohin auch in Europa die Entwicklung gehen könnte: Derzeit gibt es in den USA 116 Ethanol-Destillerien, die jährlich 53 Millionen Tonnen Getreide verarbeiten. 79 weitere Anlagen sind im Bau, 200 in der Planung. "Das steigert den Getreidebedarf für Destillerien auf 139 Mio Tonnen - die Hälfte der für 2008 prognostizierte Ernte in den USA."
Da auch die EU-Kommission in ihrer Klimapolitik auf erneuerbare Energien vertraut, spricht sie nicht so gern über die Konsequenzen dieser Politik für den Brotpreis, die Kosten für Futtermittel und die dadurch steigenden Lebensmittelpreise. Stattdessen betonte Agrarkommissarin Fischer Boel im Januar auf der Grünen Woche in Berlin die Vorteile dieser Entwicklung: "Der europäischen Landwirtschaft bietet sich eine hervorragende Gelegenheit, zur Bewältigung einer der größten Herausforderungen beizutragen, mit denen die Europäische Union gegenwärtig konfrontiert ist."
Im selben Monat schlug die Kommission vor, bis zum Jahr 2020 einen Anteil von zehn Prozent Biodiesel im Sprit festzulegen. Wenn 3,8 Millionen Hektar stillgelegte Felder wieder bepflanzt werden, könnten nächstes Jahr bestenfalls zehn Millionen Tonnen Getreide zusätzlich geerntet werden. Angesichts eines weltweiten Bedarfs von mehr als 600 Millionen Tonnen wird das kaum reichen.
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