Weltweit steigt die Inflation: Banker ohnmächtig
Die Preise schießen in die Höhe. Die Notenbanken verfallen in Aktionismus. Aber: Wie sinnvoll ist es, wenn die Europäische Zentralbank jetzt die Zinsen anhebt?
Die gefühlten Preise steigen noch viel schneller. Bei 3,3 Prozent liegt die Inflationsrate in Deutschland derzeit. Doch was sich vor allem verteuert, sind Dinge, die fast jeder Verbraucher fast täglich einkauft.
Der Preis für Diesel kletterte binnen Jahresfrist um 26,4 Prozent, für Lebensmittel muss man durchschnittlich 7,9 Prozent mehr hinlegen als noch vor einem halben Jahr. Wie oft bekommt man dagegen schon mit, dass Computer fast 16 Prozent billiger geworden sind?
Das ungute Gefühl erinnert an die Zeit der Euro-Einführung, als jeder die Teuerung an den Speisekarten der Gaststätten ablesen konnte. Schon da tröstete es wenig, dass die Statistiker Zahlen präsentierten, wonach alles halb so schlimm sein sollte.
Heute befürchtet so mancher, dass die 1970er-Jahre wiederkehren könnten, als die Opec den Ölhahn zudrehte, um das Angebot künstlich zu verknappen. Auch damals wurde zunächst das Erdöl verrückt teuer, und dann zogen alle anderen Preise nach. Um Sprit zu sparen, wurden autofreie Sonntage verordnet, die Gewerkschaften erkämpften Lohnabschlüsse, die die hohen Preise für die Bevölkerung erträglicher machen sollten. Die Inflationsrate kletterte in den zweistelligen Bereich. Dann stagnierte die Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit stieg.
Auch wenn die Lage nicht wie damals ist - das hauptsächlich in US-Dollar gehandelte Öl macht es hierzulande beispielsweise erschwinglich. Trotzdem: Für die Eurozone wurde die Inflationsrate gerade auf 4 Prozent geschätzt - der höchste Wert seit der Währungsunion 1999. Damit hat die Europäische Zentralbank (EZB) ihr Inflationsziel von knapp unter 2 Prozent weit verfehlt. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hat deshalb der Zeit erklärt: "Wenn wir nicht entschlossen sind, besteht das Risiko, dass die Inflation explodiert." Morgen dürfte die EZB voraussichtlich eine Leitzinserhöhung um 0,25 Prozentpunkte auf 4,25 Prozent bekannt geben. Sowohl der amtierende EU-Ratspräsident Nicolas Sarkozy als auch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) übten im Vorfeld Kritik. "Die EZB muss bedenken, dass sie mit einer Zinserhöhung ein falsches Signal setzen könnte", sagt er. Dennoch: Selbst Ben Bernanke, Chef der US-Notenbank Fed, die die Stützung der Konjunktur immer mindestens so wichtig fand wie die Begrenzung der Inflation, schlägt neuerdings ähnliche Töne an wie die EZB. Im Gegensatz zur Europäischen Zentralbank hatte die US-Notenbank ihren Leitzins zur Bekämpfung der Finanzkrise seit vergangenem Sommer auf nur mehr 2 Prozent gestutzt. Die Verbraucherpreise steigen in den USA aber im Jahresvergleich um fast 4 Prozent. Das Geld bekommen US-Banken also unter Abzug der Inflationsrate zu einem real deutlich negativen Zinssatz hinterhergeworfen. Jetzt aber steuert die Fed offenbar um. Man müsse nicht mehr in erster Linie die Finanzkrise, sondern die langfristige Inflationserwartung in den Griff bekommen. Zwar kündigte Bernanke nicht direkt eine Erhöhung des Leitzinses an. Aber was hat er sonst für Möglichkeiten, die Preissteigerungen zu bekämpfen? Die Zentralbanker stehen vor einem Problem. Denn im Grunde gibt es nicht eine Inflation, sondern zwei Inflationen. Die eine ist die klassische, hausgemachte Variante. Die aus dem Lehrbuch. Sie tritt zum Beispiel auf, wenn die Wirtschaft boomt, immer mehr auf Kredit investiert wird und immer mehr Leute immer höhere Lohnforderungen durchsetzen können. Immer mehr Geld trifft auf eine begrenzte Menge Waren - mit der Folge, dass jede einzelne davon teurer wird. Das Schöne an der hausgemachten Inflation ist, dass sie sich relativ gut beherrschen lässt. Zinsen rauf, dann wird weniger investiert und in der Folge weniger verdient. Die Nachfrage sinkt, der Preisdruck lässt nach.
Aber es gibt auch eine zweite Art von Inflation: die importierte. Egal, wie sparsam man zu Hause wirtschaftet, egal, wie gering die Geldmenge und die Löhne steigen - Erdöl und Nahrungsmittel werden teurer. Und das, weil der Markt funktioniert: Was insgesamt knapp oder zunehmend von anderen Nationen etwa in Asien nachgefragt wird, denen das Geld lockerer sitzt, kostet eben mehr. Das ist die Situation heute.
Das Unschöne an dieser importierten Inflation ist, dass man im Grunde wenig dagegen tun kann. Zinserhöhungen sind höchst riskant, weil sie die Konjunktur abzuwürgen drohen. Die aber ist ja gar nicht das Problem. Eher schon die Globalisierung, die die weltweite Balance von Angebot und Nachfrage verschiebt - aber gegen die sind nationale Notenbanken ziemlich machtlos.
Dabei hat ausgerechnet die Liberalisierung der Märkte den Währungshütern bis vor Kurzem das Leben leicht gemacht: Denn sie hat dafür gesorgt, dass von Klamotten bis zu komplexen Elektronikgeräten alle möglichen Konsumgüter billiger geworden sind. Weil sie inzwischen aus Billiglohnländern kommen. Aber Globalisierung ist keine Einbahnstraße. Das enorme Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern hat dazu geführt, dass dort die Nachfrage steigt. Nach Investitionsgütern und Energie, aber auch nach Konsumgütern und luxuriöseren Nahrungsmitteln wie Fleisch und Milchprodukten.
In Ostasien und Lateinamerika, aber auch beispielsweise in Russland hat die boomende Wirtschaft inzwischen die klassische Inflation ausgelöst. Und die kommt nun auch bei uns an - egal, ob die Europäische Zentralbank die Zinsen erhöht oder nicht. Höhere Zinsen könnten höchstens verhindern, dass aus der importierten eine klassische Inflation wird, indem sie sogenannte Zweitrundeneffekte abwehren: Die Händler geben die gestiegenen Einkaufs- und Herstellungspreise irgendwann weiter, und weil alles teurer wird, werden die Gewerkschaften höhere Löhne verlangen. Bislang ist allerdings keinerlei Lohn-Preis-Spirale erkennbar. Wenn die EZB die Zinsen anhebt, wird sie das vor allem tun, um überhaupt etwas zu tun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen