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Weltweit erste Münstermann-AusstellungDer Herrgottsschnitzer von Oldenburg

Ludwig Münstermann war in der Provinz ein Bildhauer von europäischem Rang. Das Oldenburger Landesmuseum beweist das mit einer packenden Ausstellung.

Überrascht nicht, dass auch die expressionistischen Brücke-Künstler ihn zum Vorbild nahmen: Ausschitt Konsolkopf (Putto), um 1615 Foto: Sven Adelaide, Landesmuseum für Kunst & Kultur Oldenburg

Die größte Überraschung ist der Herkules. Klar sind da auch die faszinierend extatischen Figuren, dieser Konsolenkopf etwa, der, mit Früchten bekränzt, ein erstarrter Schrei zu sein scheint. Es gibt da auch den geflügelten Lindenholz-Teufel: Halb schwebend, halb tänzelnd bietet er, krass obszön lachend, der Welt seine hängenden Brüste mit entzündlich-geröteten Zitzen genauso dar, wie einen eregierten sichelförmigen Penis.

Oder der Evangelist aus hartem Holz. Mit überlangem Finger sticht er regelrecht in die aufgeschlagene Seite des Buchs: Die ganze Wahrheit, hier steht sie doch! Und die Wahrheit ist: Ludwig Münstermann, der diesen Matthäus mit dem freudig zu ihm aufblickenden, kindlichen Engel im frühen 17. Jahrhundert geschaffen hat, genau wie die ausdrucksstarken Holzköpfe – der Herrgottsschnitzer Ludwig Münstermann ist wirklich eine Wucht.

Aber in ihrem Eingangsraum begrüßt und überrascht die vom Oldenburgischen Landesmuseum ausgerichtete, erste monografische Münstermann-Ausstellung überhaupt ihre Be­su­che­r*in­nen mit einem Herkules aus Sandstein. Das ist ein epochetypisches Sujet. Aber den Bildkonventionen gehorcht es ganz und gar nicht: Dieser Herkules ist eher so ein nachdenklicher Schlaks mit Schnäuzer, fast melancholisch.

Vielleicht guckt er so traurig, weil er ja als Heide keinen Anteil an Gottes Gnade haben kann, aber wer weiß das schon. Einst hat diese Plastik einen Kaminaufbau getragen, so, wie der Held im Mythos den ganzen Erdball. Sie muss es ganz beiläufig getan haben, als ob's nichts wäre: Das Werk vermittelt den Eindruck, dass diese Person sich ihrer Kraft gewiss ist.

Münstermanns Herkules muss sich nicht beweisen

Sie muss ihre Stärke weder sich selbst, noch irgendjemandem sonst beweisen: Also hängt die rechte Schulter etwas schräg nach unten, auf der linken ruht eine recht handliche Keule, ohne die Herkules kaum als Herkules erkennbar wäre: schmal der Brustkorb, langgestreckt die Oberschenkel, echte Tänzerbeine. Das rechte ist leicht vorgestellt, das linke angewinkelt. So bildet die ganze Sandstein-Skulptur eine auch in sich noch einmal geschwungene Linie.

Figura Serpentinata nennt das die Kunstgeschichte. Als ihr Entwickler gilt Michelangelo. Von ihm ausgehend ist sie in der späten Renaissance so etwas wie das Merkmal des Manierismus geworden: Sie bringt Bewegung in die Körper, in die gemalten von El Greco genauso wie in die modellierten und geschnitzten von Münstermann. Und Bewegung heißt Drama, heißt Ausdruck. Das ist, grob gesagt die Gemeinsamkeit der dieser Mode des 16. und 17. Jahrhunderts zugerechneten Künst­le­r*in­nen.

Die innere Bewegung wird ihnen wichtiger, als die abbildhafte Treue. Sie überdehnen Körper, vergrößern Gliedmaße, damit sie mehr ausdrücken, und sie verzerren Gesichtszüge bis zur Karikatur, die ja in ihrer modernen Ausprägung als ein Erbstück jener Stilrichtung gilt.

Die Ausstellung im Oldenburger Augusteum ist eine kleine Sensation. Lange bevor er sich dem Nationalsozialismus verschrieb, hatte ja der Kunsthistoriker Adolf Feulner festgestellt, man müsse Münstermanns Werke „aus ihrer Umgebung lösen und isoliert betrachten“. Dann nämlich „wirken sie wie eine Offenbarung.“

Fragile Männlichkeiten im Helden wurden schon um 1610 deutlich: Herkules, seinem tragenden Kamins beraubt Foto: Sven Adelaide, Landesmuseum für Kunst & Kultur Oldenburg

Aber das ist leichter gesagt als getan: Bis auf eine handvoll Museumsstücke in Berlin, Bremen und Oldenburg befinden sich die erhaltenen Arbeiten nach wie vor vor allem in den Kirchen der Dörfer und Flecken zwischen Wangerland, Wesermündung und Delmenhorst.

Die Arbeiten sind weit verstreut und fest installiert

„Wir können ja nicht die Altäre hierher holen“, so Museumsdirektorin Anna Heinze. Schon der Aufwand, die 35 gezeigten Einzelstücke ranzukarren und in den ersten Stock des 1867 als Museum errichteten Augusteum zu hieven, hat die Ausstellung zu einem Wagnis gemacht: Skulpturen zu zeigen ist technisch aufwändig, also teuer.

Und dann hat er zwar einflussreiche Fans, wie Markus Lüpertz, der 2015 im Berliner Bode-Museum seinem Apoll begegnet ist. In einem Zyklus von 99 Papierarbeiten –einige sind in Oldenburg zu sehen – hat sich der Düsseldorfer Maler malerisch-zeichnerisch mit dem norddeutschen Bildhauer auseinandergesetzt.

Aber trotzdem kennt ja kaum jemand diesen Ludwig oder Lütke oder Ludowig Münstermann. Man weiß auch fast nichts über ihn. Er ist irgendwann nach 1570 möglicherweise in Bremen geboren. Er hat mutmaßlich dort, vielleicht auch in Braunschweig und Magdeburg gelernt, bevor er in Hamburg das Bürgerrecht erwirbt. Dort legt er 1599 die Meisterprüfung ab. Dort hat er ein eigenes Haus besessen, eine eigene Werkstatt aufgebaut, seine erste Frau begraben, zum zweiten Mal geheiratet.

Aber sein ganzes Talent hat er in Epitaphen, Altären sowie unfassbar detailreichen Taufen für die protestantischen Kirchen und Grafenschlösser in und um Oldenburg gesteckt, wo während des 30-Jährigen Kriegs Frieden herrscht und Wohlstand. Selbst vor dem großen Brand von 1842 scheint es in Hamburg kein einziges Kunstwerk von ihm gegeben zu haben.

Die Ausstellung soll auch die Forschung wiederbeleben

Warum ist nicht ganz klar. Das Hamburger Zunftrecht soll eine Rolle gespielt haben. Münstermann war dort ja nicht als Holzschnitzer oder Steinmetz registriert, sondern „Im Ambte der dreier“, also als Drechslermeister, in die Gilde aufgenommen worden. Vielleicht durfte er dort also nicht figürlich arbeiten. Aber warum dann in Oldenburg? „Die Ausstellung“, so Heinze, „soll auch die Münstermann-Forschung wiederbeleben.“

Die ist ungefähr so alt, wie der Expressionismus in der Kunst: Die Brücke-Maler hatten ihn sozusagen als Vorfahren entdeckt, während sie am Jadebusen Sommerurlaub machten. In deren Begeisterungsrufe stimmt bald eine nationalistisch-revanchistische Kunstgeschichtsschreibung ein. Nicht nur deren ideologische Übermalungen muss eine gegenwärtige Annäherung vermeiden. Denn das Oeuvre ist selbstredend von lutheranischer Ideologie inspiriert – einschließlich ihrem Hass auf Juden, vermutet Kurator Hannes Eckstein.

Der geflügelte Teufel vom Tossener Altar, um 1631 Foto: Sven Adelaide, Landesmuseum für Kunst & Kultur Oldenburg

Zum Beispiel der schreckliche Teufel: Er wirkt wie eine um 250 Jahre zu früh gekommene Verkörperung einer Wilhelm Busch-Zeichnung. Die Figurine ist fraglos ein Meisterwerk. Aber es scheint „Luthers sämtliche antijudaistischen Topoi zu reproduzieren“, wie der Münstermann-Spezialist im Katalog zu denken gibt. Oder auch der große Moses von 1611, für Oldenburgs Hauptkirche aus Sandstein gehauen: Da sind die Buchstaben, die das Hebräische eher verspotten, als es abzubilden. Und dann fungierte er auch noch als Träger einer Kanzel, und seinem Gesicht ist abzulesen, dass ihr Gewicht ihn fast schon erdrückt. Das ist ein wiederkehrendes Muster.

Für St. Secundus im Dorf Schwei, das ziemlich abgelegen in der Wesermarsch gleich am Jadebusen liegt, kann man einen Münstermann-Moses sehen, aus Holz und so bunt bemalt, wie es seiner Zeit gefiel. Auch der muss den Predigtstuhl tragen. Auch dessen Blick geht suchend in den Himmel, traurig und unerlöst – während über ihm der Pastor die Worte des lebendigen Gottes verkündet. Andererseits: Moses trägt ihn eben auch. Alles ruht auf ihm.

Münstermann-Ausstellung

Münstermann. Augusteum, Landesmuseum für Kunst und Kultur, Damm 1, Oldenburg. Bis 30.11. 2025

Katalog zur Ausstellung, hg. v. Anna Heinze und Hannes Eckstein, Imhof-Verlag, Petersberg, 144 S., 22,95 Euro

Die Sache bleibt zweideutig, und das nicht unter den Tisch fallen zu lassen, sondern zum Umgang damit aufzufordern, ist eine Qualität der Ausstellung. Sie verklärt Münstermann nicht, sie weigert sich, ihn zu verharmlosen. Sie macht das stupende architektonische Wissen sichtbar, ohne das er und seine Werkstatt die meterhohen Schnitzaltäre nicht hätte realisieren können.

Und wenigstens von einem von denen, dem von der Dorfkirche von Blexen, hat das Museumsteam die großen Eichenholz-Skulpturen von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes herabgeholt. Sonst in mehr als drei Metern Höhe dem Blick entzogen, stehen sie nun da: Es ist möglich, ihnen nahe zu treten, sie mit dem Auge ganz zu umfassen, ihren mannigfaltigen und intensiven Ausdruck zu ergründen. Und das ist etwas ganz Besonderes. Weil es berührt.

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