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Weltfremde Juristen

Medienpolitiker, Medienjuristen, öffentlich–rechtliche und private Hörfunk– und Fernsehveranstalter erwarteten seit Monaten mit Spannung den gestrigen 4. November. Besonders die privaten hielten „den Atem an“ (Welt) und in den Chefetagen von SAT 1 und RTL plus schimpfte man schon einmal vorsorglich auf „weltfremde Juristen“ mit „typisch deutschem Regelungswahn“. Diese Befürchtungen schienen sich zu bestätigen, als in der mündlichen Verhandlung am 3. Juni Konrad Hesse, Richter des Ersten Senats, in dem sogenannten Sachstandsbericht die von ihm und seinem Mitarbeiter Rüdiger Rubel erarbeiteten „technischen und ökonomischen Voraussetzungen“ vortrug, auf denen das gestrige Urteil letztlich aufbaute. Denn die Tendenz von Hesses Bericht war eindeutig: Die vom Karlsruher Gericht in seinen vorangegangenen Urteilen konstatierte „Sondersituation des Rundfunks“ bleibt bestehen. Zwar hätten sich die technischen Voraussetzungen durch die neuen Übertragungswege wie Kabel und Satellit verbessert, ermöglichten also eine größere Anzahl von Rundfunksendern. Ähnliches könne aber nicht von den ökonomischen Bedingungen erwartet werden. Denn „nach verbreiteter Ansicht werden sich lediglich zwei, maximal drei bundesweite, private, auf Werbeeinahmen angewiesene Anbieter von Vollprogrammen behaupten“, erklärte der Berichterstatter. Konzentration unausweichlich Damit folgte Hesse, der als politisch neutral und deshalb als „juristische Autorität“ des Ersten Senats gilt, weitgehend der Argumentation von Wolfgang Hoffmann–Riem. Der Leiter des Hans– Bredow–Instituts der Universität Hamburg hatte am 8. November 1984 im Auftrag von 201 Bundestagsabgeordneten ein Normenkontrollverfahren gegen das niedersächsische Landesrundfunkgesetz angestrengt, das am 23. Mai 1984 von der CDU–Mehrheit im Hannoveraner Landtag verabschiedet worden war. Der niedersächsische Gesetzgeber tat damals die ersten Schritte auf juristischem Neuland. Zum ersten Mal wurde in der Bundesre publik versucht, eine gesetzliche Grundlage für die Veranstaltung privaten Rundfunks zu schaffen. Einzige Orientierungshilfen boten die ersten drei Fernsehurteile von 1961, 1971 und 1981. Damit hatten die Karlsruher Richter über den einzelnen Anlaß hinaus jeweils allgemeine Richtlinien zur Mediengesetzgebung kundgetan. Am Anfang war der Kompromiß Und die wiederum basieren auf einem Kompromiß in der bundesdeutschen Verfassung. Am 11. November 1948 stritten nämlich im Parlamentarischen Rat die „Väter des Grundgesetzes“ über die Meinungsfreiheit in dem noch zu gründenden deutschen Teilstaat. Damals hatte zumindest ein CDU–Mitglied ganz andere Pläne als seine heutigen Parteifreunde. Der Völkerrechtsprofessor Hermann von Mangoldt machte sich nämlich dafür stark, Rundfunkveranstaltern eine bestimmte Organisationsform vorzuschreiben: selbständige Anstalten öffentlichen Rechts. Der Sozialdemokrat Fritz Eberhard widersprach seinerzeit vehement. Denn er sah die Zeit kommen, in der „vielleicht jeder seine eigene Wellenlänge hat“. Und so einigte man sich auf die Formulierung: „Die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“ Verfassungshistoriker sehen darin den Wandel von liberaler zu sozialstaatlicher Mediengesetzgebung. Der Staat, früher feudalistischer Zensor der Gedanken des aufstrebenden Bürgertums, sollte sich nicht mehr nur aus der Publizistik heraushalten, sondern er hatte auch sicherzustellen, daß jeder, wie es so schön heißt, „seine Meinung in Wort, Schrift und Bild äußern kann“. Folgerichtig hatten die Verfassungsrichter schon 1961, als sie die Pläne der Adenauer–Regierung für ein Bundesfernsehen kassierten, privaten Rundfunk grundsätzlich zugelassen. Gleichzeitig aber wurden die Parlamente dazu verpflichtet, durch entsprechende Gesetze auch die Kommerzsender an allgemeine Prinzipien wie Pluralismus und Vielfalt zu binden. Denn, so das Gericht, Rundfunkfreiheit sei eine der Meinungsbildung dienende Freiheit. Sie dürfe weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert werden. Nachdem sich in den letzten Jahren die Verfechter des Privatfunks durchgesetzt haben und in allen Bundesländern mit Ausnahme Hessens neue Mediengesetze geplant oder bereits verabschiedet sind, wurde jetzt exemplarisch am Niedersächsischen Gesetz überprüft, ob es diesen Vorgaben nachkommt. Zuständig für dieses Gesetz ist nämlich nicht der Bundestag - auch das hat das Karlsruher Gericht bereits 1961 festgeklopft - sondern die Länder. Die haben laut Grundgesetz die Kulturhoheit, sind mithin auch für TV– und Radioprogramme zuständig. Ideale gegen Videoclips Im Mittelpunkt des gestrigen Urteils steht zum einen die sogenannte Staatsferne des Rundfunks, die nach Auffassung der SPD im niedersächsischen Gesetz nicht gegeben sei. Die Landesregierung ist darin die Zulassungsinstanz für neue Programme. Sie bestimmt, wann und mit welcher Frist Anträge auf Lizenzen gestellt werden. Und sie darf letztlich eine solche Sendeerlaubnis widerrufen. Der Landesrundfunkausschuß, das Aufsichtsgremium, in dem die Vertreter angeblich relevanter gesellschaftlicher Gruppen sitzen, hat selbst keine Sanktionsmöglichkeiten. Relevanter aber für die Rundfunklandschaft dürften die Ausführungen des Gerichts zur Vielfaltssicherung der angebotenen Programme sein. Doch die Folgen des vierten Fernsehurteils sind nur schwer abzuschätzen. Inwieweit sich auch die Sender tatsächlich an die juristischen Vorgaben halten müssen, hängt unter anderem davon ab, wie die Kompetenzen für die geforderten Kontrollorgane interpretiert werden. Zumindest in der Praxis dürfte es Probleme geben: Sollen sich etwa Grüne und CDU–Vertreter darauf einigen, was Vielfalt ist? Das Kunststück, auf hohe Einschaltquoten angewiesenen Komerzfunk einerseits grundsätzlich zuzulassen, ihn andererseits aber auf schwammige, aufklärerische Ideale aus der Zeit vor der Erfindung des Video–Clips zu verpflichten, dürften auch die höchsten deutschen Richter nicht zustandebringen. Roland Sprung

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