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WeltenSeit 50 Jahren veröffentlicht der Carlsen-Verlag Comics. Klaus Schikowski über den Anspruch des Mediums, die künstliche Trennung von Comic und Manga und die Frage, was Comics mit Vinyl verbindet„Wir haben keinen Mangel an Talenten“

Foto: Andre Franquin, Schwarze Gedanken, Carlsen-Verlag, Hamburg 2017

Interview Benno Schirrmeister

taz: Herr Schikowski, wenn Carlsens Comic-Abteilung jetzt 50-jähriges Bestehen feiert, erreicht sie damit nicht ein pro­blematisches Alter zumal für ein Medium, das auch davon lebt, jugendlich zu wirken?

Klaus Schikowski: Nein, 50 Jahre sind ein wunderbares Alter. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Mit 50 kommt eine gewisse Reife und Gelassenheit. Ich genieße das sehr und gehe deswegen auch bei Carlsen so damit um: Auch hier tut eine gewisse Gelassenheit gut.

Warum das denn?

Es ist leider so, dass die meisten Sachen im Comicbereich, die populärsten Serien von Peanuts über Spider Man bis zu Tim und Struppi, alle deutlich älter sind. Comic ist ein Phänomen aus dem 20. Jahrhundert. Dass sich Carlsen so lange gehalten hat, zeigt, dass man mit inhaltlich starken und handwerklich gut gemachten Büchern auch altern kann.

Sie haben nicht den Eindruck, dass man dabei auch alt und bräsig werden kann?

Nicht, wenn man sich ständig neu erfindet, wie Carlsen das ja definitiv getan hat: Hier wurde früh damit begonnen, neben dem in erster Linie an Kinder und Jugendliche adressierten Comic auch für den anspruchsvolleren Platz zu schaffen und sie voneinander zu trennen.

Allerdings wirkt es doch, als verlöre man allmählich die Beweglichkeit, wenn Carlsen die Hardcover-Neuauflage eines absoluten Klassikers wie die sarkastischen „Schwarzen Gedanken“ André Franquins zum Frühjahr 2015 annonciert und dann im Januar 2017 erneut auf Mai verschieben muss. Sind die eigentlich jetzt raus?

Ja, sie sind jetzt erschienen. Und es wird auch im November noch eine erweiterte Ausgabe geben, mit sehr vielen Hommagen. Ich muss allerdings gestehen, dass es manchmal schlicht Lizenzprobleme gab: Die Verhandlungen waren abgeschlossen, als in Frankreich die Rechte den Inhaber gewechselt haben – und alle Verträge noch einmal neu zur Debatte gestellt wurden.

Grundsätzlicher bleibt aber die Frage, ob es wirklich so ein großer Vorteil ist, die Jugend- und vermeintlich anspruchsvolleren Comics für Erwachsene voneinander zu trennen.

Das sind nachvollziehbare Zweifel. Allerdings: Ich war gerade erst in der Bundeskunsthalle bei der Eröffnung der Comicschau, die einen Ritt durchs 20. Jahrhundert macht. Da war noch einmal thematisiert worden, wie schwierig es der Comic damals hatte, ernst genommen zu werden, wie schlecht er beleumundet war. Natürlich hat Hergé propagiert, dass sein Tim für Leser zwischen 7 und 77 Jahren gedacht sei, und selbstverständlich lassen sich die Astérix-Bände und auch die Peanuts auf sehr unterschiedlichen Ebenen lesen. Aber man muss es schon erklären, dass es auch Comics gibt, die sich nur an erwachsene Leser wenden.

Wenigstens in Deutschland.

Auf dem deutschen Markt ist das sicher besonders ausgeprägt. Programmatisch fühlt es sich wie ein Auseinanderfallen an: Da haben wir einerseits die Comics zu oft politisch-relevanten Themen, andererseits die traditionellen Albenstoffe. Mir scheint es aber gerade ein großer Vorzug von Carlsen zu sein, dass es uns gelingt, in unserem Programm die Vielfalt abzubilden, die auf dem Markt herrscht.

Noch problematischer wirkt auf mich die Trennung zwischen Comic und Manga. Die ist so inkonsistent, dass selbst in Ihrem Programm kanonische Mangas als Comics gelten.

Die Begrifflichkeiten im Comic sind tatsächlich oft unscharf, das sehe ich genauso: In meiner Monografie „Comic: Geschichte, Stile, Künstler“ schreibe ich das auch: Manga ist nichts anderes als ein fernöstlicher Comic. Die haben zwar auch andere Codes, Layouts und Stilisierungen, aber es sind Bilderzählungen, Geschichten, die mit und durch Bilder erzählt werden. Die Segmentierungen sind im Bereich Comic nicht unproblematisch.

Die Auszeichnungen und Preise schreiben die willkürlichen Gattungssetzungen der Verlage fort: Das hat schon was Rassistisches, wenn Meisterwerke wie Osamu Tezukas Kirihito beim Comicsalon in Erlangen bloß als bester Manga ausgezeichnet werden, und nicht als bester Comic des Jahres.

Rassistisch ist in diesem Zusammenhang etwas harsch. Aber Erlangen hat das Problem erkannt – und deshalb 2014 auch Naoki Urasawas Billy Bat zum besten internationalen Comic des Jahres gekürt. Mir scheint allerdings, dass die Abtrennung von der Comicszene auch stark vonseiten des Manga-Publikums ausgeht. Viele sagen: Ich lese Manga, aber keine Comics. Wo­rauf ich immer sage: Nein, das ist Quatsch. Das ist auch ein Comic.

Nur eben aus Japan.

Das hat auch damit zu tun, dass sich Manga eine kleine Subkultur geschaffen hat, etwa mit Cosplay, also Kostüm-Events, und der Verzahnung von Manga- und Anime-Serien.

Also den Verfilmungen.

Das ist noch einmal eine ganz kleine eigene Kulturwelt. Der Comic ist dagegen der Comic – der Oberbegriff, und den haben wir in unterschiedlichen Erscheinungsformen aus verschiedenen Kulturnationen, aus den USA, aus Frankreich und Belgien, aus Japan.

Dabei ist Carlsen gleichsam Hüter der franko-belgischen Tradition in Deutschland: Treibt es Sie da nicht um, wenn so entscheidende Figuren wie Joost Swarte hier nicht vorkommen?

Wir befinden uns in einer Phase, in der die Leser und Leserinnen der 1970er und 80er, die „Zack!“-Generation, beruflich gut gestellt sind – und sich die Comics, die sie gern gelesen haben, in schön gebundenen Ausgaben hinstellen. Das lässt sich vergleichen mit den Vinyl-Alben, die Musik-Liebhaber kaufen. Die Aufbereitung der Klassiker ist für den Markt ein großes Thema. Dafür muss natürlich bei jedem Klassiker geguckt werden, wie sehr lohnt sich das.

In Belgien, den Niederlanden und in Frankreich lautet die Antwort bei Swarte: absolut.

Foto: Carlsen-Verlag
Klaus Schikowski

50, Linguist, seit 2014 Chefredakteur des Programmbereichs Comic beim Carlsen-Verlag, hatte zuvor für Egmont den Bereich Graphic Novel aufgebaut und war als freier Publizist, Lektor und Kurator tätig.

Sie haben völlig recht, dass so etwas wie Joost Swarte auf dem deutschen Markt nicht stattfindet. Aber es ist allen klar: Die Verkaufszahlen wären nicht hoch genug. Das ist so speziell, da sind wir noch nicht. Immerhin sind sie schon erschienen, bei Kleinstverlagen wie Affholderbach & Strohmann.

Auch bei Carlsen. Antiquarisch lassen sich die Bände ja noch bekommen. Gegenstück zum Umgang mit Klassikern ist immer die Frage nach Entdeckungen: Da hat Carlsen, wie es scheint, das Feld den kleinen Verlagen wie Reprodukt, Avant oder Splitter überlassen. Auch viele der gefeierten neuen deutschen Comics, die ganze Hamburger Schule, all das scheint bei Ihnen nicht stattzufinden. Wie kommt das?

Carlsen ist ein Konzernverlag, der bestimmte Strukturen hat, und selbstverständlich muss man bei Carlsen auch darauf achten, ein breiteres Publikum zu erreichen und nicht zu sehr in die Nische zu gehen. Ich glaube, es wäre nicht förderlich, wenn wir immer mehr in die Spitze gingen, und nachher nur Verkaufszahlen von 400 Exemplaren hätten. In den Nullerjahren gab es Tendenzen, von denen man als Außenstehender – damals war ich Kritiker – denken konnte: Die anderen Verlage sind schneller und beweglicher.

Der Eindruck täuscht?

Selbstverständlich haben die andere Strukturen, wenn sie kleiner sind. Aber es ist ja überhaupt nicht so, als würde Carlsen keine deutschen Zeichner und Zeichnerinnen veröffentlichen. Im Gegenteil. Carlsen hat einige deutsche Zeichner auch groß gemacht, wie Isabell Kreitz, Reinhard Kleist oder Flix. Wir legen großen Wert auf deutsche Zeichner. Das ist ein Teil unserer Strategie. Ich sehe da sehr, sehr viel Talent – und auch viele Geschichten, die möglicherweise auch im Ausland erfolgreich sein könnten. Wir haben keinen Mangel an Talenten.

Welche Rolle spielt dabei das Web: Ist das Netz Konkurrenz – oder eher Chance für die klassischen Verlage?

Letzteres. Ich habe sehr viele Sachen gesehen, die im Web gut funktioniert haben – aber dann auf Papier gar nicht mehr, weil das Medium die Erscheinungsform vorgibt. Im Web gibt es im Grunde sehr häufig traditionelle Strips – auf der Suche nach dem täglichen oder meinetwegen wöchentlichen Lacher, so wie Zeitungscomics. Das funktioniert nur selten auch als Buch. Aber letzten Endes ist es ein Training für die Zeichner. Flix, mit dem ich engen Kontakt habe, ist das genau so angegangen: Ich fördere mich, indem ich jeden Tag einen Strip mit vier Bildern ins Netz stelle, hat er mir erzählt. Und dadurch habe er auch eine solche Routine bekommen, auf die er jetzt zurückgreifen kann. Der Druck, jeden Tag etwas produzieren zu müssen, weil die Leser darauf warten, das hat ihm richtig gut getan.

Selbst eine Online-Plattform anzubieten, um Talente früh zu erkennen und an sich zu binden, planen Sie aber nicht?

Es gibt verschiedene Überlegungen, und es werden auch verschiedene Modelle diskutiert: Wir sehen, dass eine Präsenz und Sichtbarkeit im Netz heutzutage förderlich ist. Da bewegen sich schließlich viele Menschen.

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