Weltbank: Tanz der Vampire: Kleckerkredite für den Faktor Frau
■ Der neue "kolonial(isierend)e" und "hausfrauisierende" Klein–Kredit
Kredite werden nicht nur an die Regierungen „abhängiger“ Länder vergeben, sondern auch an einzelne ProduzentInnen oder Gruppen von ProduzentInnen. Von großer Bedeutung sind dabei die seit langem von der Weltbank propagierten Kleibauern–Kredite. Häufig als gutwillige Förderung subsistenzwirtschaftlicher Strukturen „verkauft“, führen diese Kredite tatsächlich aber zu einer neuen und modernen Form von Zwangsarbeit, gerade und insbesondere für Frauen. Die „weichen“ Konditionen dieser Kredite (niedrige Zinsen, lange Laufzeiten, Umschuldungen, immer neue Kredite) erwecken nach wie vor den Eindruck, daß auch die dann erfolgte „Penetration“ und Abhängigkeit erträglich, „subtil“, „sozial“, eben „weich“ sein werde. Viele glauben immer noch: „Hauptsache, das Geld ist erst einmal da...“ und meinen, damit dann zum „freien“ Produzenten oder Konsumenten werden zu können, nach dem Motto: Wer nicht Lohnarbeiter wird, wird Kapitalist (oder gar nicht–arbeitender Rentier). Damit sitzen die Leute immer noch derselben Ideologie von dem auf, was angeblich Kapitalismus (bzw. was die angebliche „Verantwortung“ des kapitalistischen „Sozialstaats“) sei. Diesmal ist es nur der zweite Teil derselben Ideologie, die uns zuerst versprach, wir würden alle „freie“ LohnarbeiterInnen. Geld wird für das wichtigste gehalten, obwohl es doch nur das Mittel für etwas ganz anderes ist, und zwar für viel mehr. Denn im Kapitalismus geht es einzig und allein um die Akkumulation und die dafür „notwendige“ Ausbeutung und nicht um die Schaffung von möglichst vielen Lohnarbeitern und Kapitalisten (oder gar nicht– arbeitenden, bloß konsumierenden Renten–Empfängern). Aber die Abhängigkeit vom Geld und sein abstrakter Charakter lassen es immer wieder als das Ziel, das Eigentliche, das „beliebig“, nämlich „frei“ Verwendbare und unabhängig Machende, als etwas sozial „Neutrales“ erscheinen. Das Geld wird entweder zu locker oder zu ernst genommen, und oft wird übersehen, was es als „Anhängsel“ hinter sich her zieht bzw. worauf es aufgebaut ist. Und plötzlich ist die „weiche“ Penetration zur knallharten Vergewaltigung geworden. Ein „Autonomie“–Begriff, der lediglich die individuelle Verfügbarkeit von Geld voraussetzt und keine Perspektive beinhaltet, wie und wozu die Abhängigkeit vom Geld und (von der Ware) gemeinsam - und es geht nur gemeinsam - nach und nach überwunden werden kann, geht daher meiner Meinung nach in absurder, (lebens–)gefährlicher und dabei noch höchst systemstabilisierenden Weise am Problem vorbei, insbesondere dem der Frauen und dem von Frauen und Geld. Die bisherigen Erfahrungen mit dem neuen Kredit für kleine Produzenten, den es seit rund 20 Jahren vor allem in der Landwirtschaft gibt - in den „Kolonien“ insbesondere in Form des von der Weltbank seit elf Jahren propagierten Kleinbauern–Kredits - zeigen, daß der Kreditnehmer dieser Art nicht in der Lage ist, „frei“, „selbständig“ und „unternehmerisch“ tätig zu sein. Er/sie kann mit dem Kredit nicht akkumulieren und keinen Profit machen, so sehr er/sie es auch versuchen möge. Der Kredit ist bestenfalls eine mögliche Quelle der Vergütung von Arbeit. So wird er auch häufig propagiert - übrigens neuerdings gerade gegenüber (Haus–)Frauen - nämlich als Chance zu einer sogenannten „income generating activity“. Damit ist der Kredit in „Arbeitnehmer“– und Frauenhand höchstens eine Art Lohnersatz. Und der ist ein weltweit akutes Thema. Jedoch, selbst das mittels Kredit zu schaffende Einkommen erweist sich in der Praxis inzwischen immer mehr als Illusion. Das zeigt sich daran, daß die Kreditnehmer immer mehr Arbeit aufwenden, immer mehr Ressourcen ihrer Umgebung zusätzlich „investieren“, auch über den Kredit hinausgehende Produktionen immer „verkäuflicher“ gestalten und immer weniger Zeit und Mittel für sich selbst, ihre Eigenversorgung, die „Reproduktion ihrer Arbeitskraft“ übrig haben. Am Ende bezahlen sie noch dafür, daß sie mit dem Kredit arbeiten dürfen. Auch sie sind - so als wären sie jeder für sich ein „Kolonialland“ - in die „Schuldenfalle“ geraten. Sie sind zum Weitermachen gezwungen, an den Kredit „gebunden“, ja gefesselt, der immer weitere, angeblich „wertlose“, trotz erhöhter „Produktivität“ nicht bewertete Arbeit aufsaugt, „aussaugt“, um mit Rosa Luxemburg zu sprechen. Der Grund ist eindeutig: Es geht um diese Arbeit, die will „man“ sich kostenlos einverleiben. Was haben denn die Hühner mit dem Dollar zu tun? Nun haben in den letzten zehn Jahren gerade auch Frauen, insbesondere in den „Kolonien“ die ersten Erfahrungen mit dem neuen Kleinkredit für die „Produktion“ gemacht. Das folgende Beispiel handelt von sogenannten „Hausfrauen–Krediten“, wie sie seit den siebziger Jahren im ländlichen Venezuela vergeben werden. Im Falle eines Subsistenzbauerndorfes in der Nähe von Varitagua (El Cardon) sah die Kreditvergabe an Hausfrauen zum Beispiel folgendermaßen aus: Das staatliche Kreditinstitut der Agrarreform ICAP in der Landeshaupstadt San Felipo hatten sechs Frauen des Dorfes einen Kredit in zwei Raten in Höhe von je 1.500 Bs. (circa 700 Mark) für die Hühnerzucht gewährt (1976/77). Davon kauften die Frauen zwei mal 150 Küken für 1,25 Bs. das Stück. Die Hühnersorte (Klasse 1a) war vorgeschrieben. Die Zinsen sollen drei Prozent, bei verspäteter Rückzahlung des Kredits sechs Prozent betragen, was den allgemeinen Bedingungen der „weichen“ öffentlichen Kreditvergabe entspricht. Des weiteren mußten die Küken geimpft werden, und es mußte ein Hühnerstall gebaut werden, damit die Tiere nur ihr vorgefertigtes Futter fressen konnten, da sie anderes nicht vertrugen. Einer der Frauen half ihr Mann, der Tischler war, umsonst mit Holz aus, damit die Kosten für den Bau des Hühnerstalls reduziert werden konnten. Trotzdem waren die Kosten so hoch, daß am Schluß von der ersten Rate nur noch 150 Bs. für Futter übrig blieben. Sobald die Küken etwas größer wurden, fraßen sie alle zwei Tage einen Sack Futter im Wert von 49 Bs. Die Produktionskosten stiegen dermaßen an, daß die Familie ein Schwein für 300 Bs. verkaufen mußte, um die Küken weiter zu ernähren. Trotz der Impfung starben viele Tiere. 50 davon konnte die Frau noch zu Schleuderpreisen verkaufen. Die versprochene technische Rate blieb aus, die Kommerzialisierung war nicht geregelt. Auch nach der zweiten Rate gab es keine Änderung. Abgesehen von der zusätzlichen Arbeit, die unvergütet blieb, hatte die Frau noch zusätzliches Geld in die Produktion stecken müssen. Sie hat daraufhin nie wieder einen Kredit angenommen. Auch den anderen Frauen erging es ähnlich. Die Frauen erkannten, daß man sie durch die Kreditverträge ausbeutete. „Wenn es nicht von einem selbst ist, hat es keinen Zweck“, sagten sie. Die Küken, die sie mit dem Kredit gekauft hatten, hätten ihnen ja gar nicht gehört, sie hätten nur auf sie aufpassen, ihnen gut zu fressen geben und außer der Arbeit das Risiko tragen müssen. Sie hätten die Hühner auch nicht selbst essen dürfen, aber auch keine Abnehmer gefunden oder nur solche, die sie übers Ohr gehauen hätten. Es sei genauso gewesen wie bei den Kleinbauern, die seit der Agarreform auch mit Krediten und entsprechenden Verträgen produzierten. Dies sei für sie keine Lösung, selbst wenn das Vermarktungssystem verbesert würde. In der Praxis muß der Kredit den Produzenten immer häufiger aufgezwungen werden: ohne Kredit keine Produktionsmittel, ohne Kredit kein mögliches Einkommen, von Profiten ganz zu schweigen. Diese sollen nämlich andere erhalten, und zwar einmal die Kreditgeber und/oder diejenigen, für deren Produkte (zum Beispiel Maschinen, chemischte Podukte, Computer) der Kredit ausgegeben werden muß (garantierter Warenabsatz durch sogenannte „Lieferbedingungen“); zum anderen diejenigen, für die das derart Produzierte Rohstoff weiterer Verarbeitung ist, zum Beispiel in der (Agro–)Industrie. Vorausetzung hierfür ist, daß die Kreditbedingungen so festgelegt sind, daß dem Kreditnehmer keine Freiheit der Wahl bleibt, an welcher Ecke des Produktionsprozesses auch immer. Gerade der neue Kredit für Kleinproduzenten, Genossenschaften und Hausfrauen weist diese Merkmale auf. Hier ist nichts dem „richtigen Riecher“ des „neuen Selbständigen“ oder der „Freiheit des Marktes“ überlassen, außer die Art und Weise, wie der Kreditnehmer zusätzliche Arbeit, Geld und Ressourcen für die kreditinduzierte Produktion mobilsiert. Wir dürfen dreimal raten, auf wessen Kosten: Obwohl der Kreditnehmer als „Vertragsproduzent“ bloß noch die „Kapitaldurchleitung“ für ganz andere Leute besorgen soll, muß er also selbst Ausbeuter anderer sein, mindestens aber von seiner Familie, sprich der Frau und Kindern. Er muß sie daher auch erst einmal haben: Der Kredit ist damit weder Kapital– noch wirklich Lohnersatz, sondern zunächst einmal Ersatz für die Aufgabe des Lohnarbeiters, die patriarchalische moderne Familien zu schaffen, um ihre Arbeitskraft gratis und nun auch immer direkter (nicht nur als Hausarbeit) sowie an Ort und Stelle (im Haus, Familienbetrieb, der Genossenschaft), für die Kapitalverwertung und für sich selbst (Einkommenserzielung), also als unmittelbare Warenproduktion zu aktivieren. Die Arbeitskraft der Familie, insbesondere der Frauen, braucht damit auch nicht mehr teilweise an die Fabrik „abgetreten“, d.h. ausgeliehen zu werden, sondern kann vollständig in der Familie als „Betrieb“/dem Haus als „Hauswirtschaft“ verbleiben. Ist die Frau selbst Kreditnehmerin, ist sie oft einem männlichen Kreditnehmer untergeordnet (der Kredit im Kredit...). In jedem Fall führt aber der Kredit gerade bei den Frauen zu einer zusätzlichen Ausdehnung des Arbeitstages, weil die Hausarbeit bestehen bleibt, ja wegen der geringen Einnahmen und dem zunehmenden Warencharakter der häuslichen Produktion noch ausgeweitet werden muß. Der Kredit zielt daher unter allen Umständen auf eine vollkommene „Ausschöpfung“ des „letzten Entwicklungspotentials“, der weiblichen Arbeitskraft. Diese „Investition in die Armen“ (Bennholdt Thomsen 1980) und inbesondere die „Investition in die Frauen“ führt daher nicht zur Existenz neuer UnternehmerInnen und LohnarbeiterInnen, und auch nicht zur Möglichkeit des Weiterlebens wie bisher. Sie führt stattdessen immer offensichtlicher zur Entstehung einer modernen „kolonialen“ Zwangsarbeit, die nicht in „regulären“ Fabriken geschieht, sondern in meist kleinen, „familiär“ organisierten Produktionseinheiten in der Stadt und auf dem Lande, wo - ohne Gewerkschaften, versteht sich - unter der Knute der „Familien–Oberhäupter“ nach Heimarbeits– oder Hausfrauenart und ausgerüstet mit allem technischen Schnick–Schnack am langen Draht des internationalen Finanzkapitals für den Weltmarkt produziert wird. Damit einher geht also auch der Warenabsatz als Zwangskonsum von Produktions– „Inputs“ und „Lebensmitteln“, die für die Erhaltung dieses Lebens immer weniger geeignet sind. Der neu, altbewährte Kredit könnte sich daher als das wichtigste Mittel erweisen, die räuberischen und gewalttätigen Verhältnisse der „ursprünglichen“ Akkumulation, wie Luxemburg sie beschrieben hat, auch dort fortsetzen oder wiedereinzuführen, wo die „Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln“ schon längst vollzogen ist oder nun vollzogen wird. Die Form, in der dies nun geschieht, nämlich durch den Einsatz der neuesten Technologien, zeigt dabei, daß der „technische Fortschritt“ gerade nicht zu einer weiteren „Befreiung“ der Produzenten, sondern viel eher zu ihrer Zwangsbewirtschaftung zu führen scheint. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob es sich um die Hühnerzucht oder Computer– Programme handelt. Im Gegenteil, wenn schon die Hühner so viel mit dem Dollar zu tun bekommen haben, wieviel haben dann erst die Computer damit zu tun! Teil 1 der Serie (Tatjana Chahoud über die Weltbank) erschien am 19.3., Teil 2 (Kurt Hübner über den IWF) am 26.3 und Teil 3 (Edgar Fürst über Struktur– und Sektoranpassungsdarlehen) am 2.4.1988.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen