: Welke Neurosen
■ Die Geschichte eines Dandy-Zombies: Joris-Karl Huysmans– „Gegen den Strich“ ist im Bremer „manholt-verlag“ erschienen
Ein Buch wie ein Überdruß. Huysmans' „Gegen den Strich“, erstmals erschienen 1884, reibt einem den Weltekel so penetrant unter die Nase, bis einem endlich auch schlecht wird von der Welt — und dem Buch gleich mit.
Möglicherweise riecht der Roman ja exakt nach dem exzentrischen Aroma des ausgehenden 19. Jahrhunderts und war ein Ventil für den autobiographischen Ekel seines Autors — aber für heutige Leser ist's streng genommen doch nicht viel mehr als ein redundanter Abstecher ins Fin de siècle und seiner eingemotteten Welt der Decadence. Einer Zeit also, in der man die Neurosen entdeckte und ein Möbius das Weib für angeboren schwachsinnig erklären konnte. Was Huysmans, Beamter im französischen Innenministerium und wohl heftig Kompensation begehrend, auch munter mitbehauptet.
Warum aber ist die Welt so, daß mann sich so ekeln muß?
Dafür ist unser „Held“ Des Esseintes Spezialist, eine der provokantesten und müdesten Figuren der Literaturgeschichte und letzte Sprosse einer langen Adelsleiter. Ein Übriggebliebener, ein empfindlich Eingebildeter, ein gespreizt Gereizter: eine Art König der Decadence, der sich angewidert vom Plebs und den groben Reizen, „der unaufhörlichen Sintflut der menschlichen Torheit“ in ein einsames Haus auf dem Lande zurückzieht, wo er „die vulgäre Realität der Tatsachen“ durch bloße Vorstellungskraft ersetzen will.
Heute würde man so einen eventuell depressiv oder einfach überspannt nennen und zu einem wohldosierten Leben raten oder einer Bergtour, aber Huysmans hat mit seinem Mann ja was vor: Er wolle um jeden Preis neu sein, schreibt er selbst zu seinem Buch. Und was er schließlich zum Ausdruck bringt, ist eine Art essentieller Ästhetizismus.
In endloser Einöde erschafft sich Des Esseintes (!) also eine „reglose Arche“, baut darin seiner Lebens-Müdigkeit einen Altar und macht sich zum Priester einer vollkommenen Künstlichkeit: In seiner Eremitage mit Schiffskabine für die Simulation von Fernreisen zelebriert er eine Orgie der überfeinerten Synästhesien.
Er lebt nur nachts, bewegt sich kaum, nippt hier und da an Chinatee und umflort seine fiebernden Sinne mit Farbfesten, künstlichen Blumen, schwülen Parfüms und fremdartigen Likörs, bis sich opernhafte Rauschzustände einstellen; auch werden Gemälde geschaut, die „ihm das Nervensystem durch gelehrte Hysterien, verwickelte Albträume, laszive und grauenhafte Visionen in Aufruhr versetzen“.
Und schließlich: Weil seine Teppiche zu wenig glänzen, läßt er eine Schildkröte mit Blattgold und Edelsteinen besetzen, woran die Gute zugrunde geht. Was man denn auch bald Des Esseintes wünschen möchte, damit die enzyklopädische Litanei des starren Sinnestaumels ein Ende nehme.
Aber nur langsam übersteigert er sich seinem Ende entgegen, bis schließlich und endlich aus der Scheinwelt halluzinatorische Ängste steigen und seiner hermetischen Existenz mit Hypochondrien zusetzen. Das Aus-der- Welt-Sein wird eine Krankheit zum Tode.
So weit, so konsequent. Aber Huysmans hat noch mehr vor, als bloß neu zu sein: Er will zusätzlich noch was wissen. Und so geht er uns immer wieder als gelehrsamer Schwätzer auf die Nerven. In etwa der Hälfte der 16 Kapitel drapiert er seinen Helden mit endlosen Überlegungen etwa zur Literatur der Spätantike, zu Schopenhauers Pessimismus, den Bildern Moreaus, der Literatur Baudelaires. Wobei viele dieser Abhandlungen aus damaligen wissenschaftlichen Quellen stammen und Huysmans– sich ein recht sammelsurisches und durchaus fremdes Federkleid anlegt.
In seiner Radikalität ist „Gegen den Strich“ sicherlich das Neue gewesen, das Huysmans sich zu schaffen gewünscht hat und als solches ein Verdienst. Ein Verdienst aber vor allem an der Literaturgeschichte und nicht am Lesevergnügen. Claudia Kohlhase
Joris-Karl Huysmans: Gegen den Strich, manholt-verlag, 320 Seiten, 39.80.-, Übersetzung: Brigitta Restorff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen