■ Arbeit kostet Geld. Sagen die Metallunternehmer. Sie drohen jetzt mit der Aufweichung der Flächentarifverträge - und wollen "Beschäftigungsbündnisse", bei denen die Belegschaften draufzahlen. Vielerorts ist es schon so weit.: Welches Bündn
Arbeit kostet Geld. Sagen die Metallunternehmer. Sie drohen jetzt mit der Aufweichung der Flächentarifverträge –
und wollen „Beschäftigungsbündnisse“, bei denen die Belegschaften draufzahlen. Vielerorts ist es schon so weit.
Welches Bündnis, bitte?
Die NäherInnen, SpinnerInnen und WeberInnen in der Textilindustrie gehörten schon immer zu den Schwächsten in der Industrie. Dort haben Betriebsräte schon Tausende von Beschäftigten notgedrungen in die Arbeitslosigkeit verabschieden müssen. Die neue, gestrige Vereinbarung zwischen Arbeitgebern und Textilgewerkschaft setzt deshalb Maßstäbe für künftige „Bündnisse“ für Arbeit: mit Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen, mit betrieblichen Vereinbarungen werden Jobs gesichert – aber noch lange keine neuen geschaffen. Die Belegschaften müssen sich diese Zusagen mit Lohnverzicht erkaufen.
Die Arbeitgeberorganisation Gesamttextil und der Bundesverband Bekleidungsindustrie vereinbarten mit der Textil- und Bekleidungsgewerkschaft (GTB), daß vom Frühjahr an in der westdeutschen Branche nur noch eine Lohnerhöhung von 1,5 Prozent gezahlt werden soll. Das entspricht der Preissteigerungsrate. Unternehmen in schwieriger wirtschaftlicher Lage können diese Tarifanhebung per Betriebsvereinbarung für maximal ein Jahr aussetzen. Im Gegenzug für eine Nullrunde müssen die Unternehmer dann Kündigungsschutz zusichern. Bei dieser Vereinbarung gebe es „keine Gewinner und keine Verlierer“, erklärte der GTB-Vorsitzende Willi Arens.
Lohnverzicht gegen Beschäftigungssicherung ist das Modell, das auch von Arbeitgeberseite propagiert wird. Der Vizepräsident von Gesamtmetall, Jochen Kirchhoff, hob das in einem dpa-Gespräch als „lobendes Beispiel“ hervor. „Das ist genau der Ansatzpunkt, den wir auch für die Metallindustrie wollen.“
Kirchhoff schloß sich der Ansicht des künftigen Gesamtmetall- Präsidenten Werner Stumpfe an, daß das Bündnis in der von der IG Metall ursprünglich vorgeschlagenen Form „tot ist“. Die Forderung der IG Metall, daß die Metallarbeitgeber in diesem Jahr rund 100.000 Arbeitsplätze zusätzlich schaffen, sei nicht erfüllbar. Die IG Metall verlange damit einseitig Vorleistungen von den Unternehmen, ohne ihnen Kostenentlastungen zuzugestehen.
Die gemeinsamen Bemühungen um Wege zu mehr Beschäftigung seien „auf gar keinen Fall tot“, versicherte hingegen Kirchhoff. Die Bedingungen aber möchten die Arbeitgeber diktieren. Die „positiven Signale aus den Betrieben“, über die sich Kirchhoff freut, gibt es schon. Nicht nur in der Metallbranche.
Im öffentlichen Personennahverkehr in Bremen und Delmenhorst beispielsweise haben die Tarifvertragsparteien unlängst eine Nullrunde für dieses Jahr vereinbart. Im Gegenzug garantierte der kommunale Arbeitgeberverband sichere Jobs bis zum 30. Juni 1999.
Auch die Vereinbarungen zum Überstundenabbau bei der Telekom und Postbank bedeuten letztlich Lohnverzicht: Die Beschäftigten verlieren das Extraeinkommen durch die Mehrarbeit. Im Gegenzug soll der Jobabbau verlangsamt werden.
Im Osten, wo die Beschäftigten stark unter Druck stehen, müssen die Betriebsräte besonders flexibel sein. In einer Wurstfabrik bei Eberswalde beispielsweise verzichtete die Belegschaft auf 170 Mark Lohnerhöhung im Monat. Dafür arbeiten die Beschäftigten zwei Stunden weniger in der Woche. In den nächsten zwei Jahren gibt es keine Kündigungen.
Betriebliche Öffnungsklauseln wie in der Textilindustrie würden es vielen Betriebsräten erlauben, solchen Lohnverzicht zu vereinbaren, ohne den Flächentarifvertrag unterlaufen zu müssen. DGB-Chef Dieter Schulte hat mehrfach angedeutet, daß man den Arbeitgebern in der Frage von Öffnungsklauseln entgegenkommen will. Die Gewerkschaften hätten erkannt, daß die Verträge eher den Rahmen für betriebliche Gestaltungsmöglichkeiten als starre Vorgaben setzen müßten. Der DAG-Vorsitzende Roland Issen hat sich gar schon dafür ausgesprochen, in künftigen Tarifverhandlungen einen Teil der Gehaltssteigerungen in Beschäftigungssicherung umzurechnen.
Mit Öffnungsklauseln wird der Flächentarifvertrag aufgeweicht – aber eben auch gleichzeitig gesichert. Werden auch in anderen Branchen diese Öffnungsklauseln vereinbart, dürfte es zur Flucht in „Alternativ-Verbände“ ohne Tarifbindung nicht kommen. Mit solchen „Alternativ-Verbänden“ hatte Gesamtmetall-Geschäftsführer Werner Stumpfe wohl auch gedroht, um damit Druck auf jegliche „Bündnis-Verhandlungen“ auszuüben.
Die Verbandsflucht ist allerdings gar nicht mehr das größte Problem. Stumpfe geht immerhin noch davon aus, daß „etwa 60 Prozent der Arbeitnehmer in einem verbandlich organisierten Betrieb arbeiten“. Viel gravierender sei die Tarifflucht, wird auch bei Gesamtmetall eingeräumt: Die Betriebe bleiben zwar im Verband, halten sich aber -im stillen Einverständnis mit den Betriebsräten – nicht mehr an die Flächentarifverträge. Nicht wenige Mittelständler in der Metallindustrie haben beispielsweise die 35-Stunden-Woche schlichtweg nicht eingeführt.
Zu der Drohung Stumpfes, neben den bestehenden Verbänden „Arbeitgeberverbände ohne Tarifbindung“ zu gründen, meinte der IG-Metall-Vize Walter Riester, dann werde es eben eine betriebsbezogene Tarifpolitik von Betrieb zu Betrieb geben. „Unser Wunsch ist das nicht, aber wir werden uns der Herausforderung stellen.“ An von der Gewerkschaft gesteuerten, ständig schwelenden, betrieblichen Konflikten haben jedoch auch die Arbeitgeber kein Interesse. Barbara Dribbusch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen