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Weitsprung-EMDas Wunder von Turin

8,71 Meter im Weitsprung, für solche Leistungen waren US-Amerikaner oder Kubaner zuständig. Dass aber ein 22-jähriger deutscher Leichtathlet so weit fliegt, überrascht.

Karrieresprung nach vorn: 8,71-Meter-Mann Sebastian Bayer. Bild: dpa

War das der perfekte Sprung? Sebastian Bayer blickte zweifelnd, ratlos angesichts der Sensation. Dann sagte er: "Ja, so muss er sich wohl anfühlen", der perfekte Sprung. Der 22-Jährige aus Bremen war am Sonntag zum Abschluss der Hallen-Europameisterschaft bei 8,71 Metern in der Grube gelandet. Eine unglaubliche Weite für einen deutschen Weitspringer. Er erntete Begeisterung - und jene Zweifel, die im modernen Spitzensport unweigerlich mit herausragenden Leistungen verbunden sind. Zu oft gingen Perfektion und Betrug im Sport schon Hand in Hand.

Die deutschen Leichtathleten waren zuletzt gefeit vor solchen Verdächtigungen, weil sie nicht gut genug waren. Das hat sich mit dieser Hallen-EM in Turin geändert. Zehn Medaillen hat das Team des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) gewonnen. Neben Bayer steuerten auch Hochspringerin Ariane Friedrich und Kugelstoßerin Petra Lammert Gold bei. Mit dieser Ausbeute liegt Deutschland im Nationenvergleich auf Rang zwei hinter Russland. Für ein Jahr, dessen Höhepunkt im August die Weltmeisterschaft im eigenen Land sein wird, ist das ein guter Einstieg. Lauf-Cheftrainer Rüdiger Harksen bescheinigte der Mannschaft eine ganz neue "Strahlkraft". Es herrsche ein "guter Spirit" in dem verjüngten Team. "Wir haben Athleten, die mit erhobenem Kopf zielstrebig in den Wettkampf gehen." Allerdings betonte Harksen auch, dass man sich in Turin in Europa und nicht auf Weltniveau bewegt habe. "Was das bedeutet, werden wir im Sommer in Berlin sehen."

Sein für den technischen Bereich zuständiger Kollege Herbert Czingon hatte kommen sehen, was Sebastian Bayer schließlich wahr werden ließ. Eine deutsche Spitzenleistung, eine Sensation in der Grauzone zwischen Glaubwürdigkeit und Zweifel. So wie der Europarekord von Dwain Chambers. Der Brite war über 60 Meter nach 6,42 Sekunden ins Ziel gestürmt. Doch weil er schon einmal des Dopings überführt und dafür gesperrt worden ist, verfolgen ihn die Verdächtigungen, egal wie schnell er rennt.

Czingon wollte nicht zweifeln. "Es sind auch sauber ganz ausgezeichnete Leistungen möglich", betonte er. "Was sagen wir, wenn Ariane Friedrich in ganz neue Höhen vorstößt?" Die Hochspringerin musste das dann gar nicht, 2,01 Meter reichten ihr für den Sieg, weil ihre härteste Konkurrentin, die Kroatin Blanca Vlasic, einen ausgenommen schlechten Tag erwischte und nicht über 1,92 hinauskam. So war es dann die deutsche Nationalhymne bei der Hochsprung-Siegerehrung, die Sebastian Bayer kurz vor seinem letzten Versuch im Weitsprungfinale hörte. "Ich hatte noch eine Gänsehaut", erzählte er später. Er flog und flog. Wohl auch, weil die Anlage in Turin gut für herausragende Leistungen war. Aber wohl vor allem, weil er seine enorme Schnelligkeit im Absprung so exakt wie noch nie in Höhe und Weite umwandelte.

Bayer sagt, er nehme die Antidoping-Bestimmungen sehr ernst. Akribisch mache er seine Meldungen, wann er wo anzutreffen sei. Er selbst hatte bisher stets bezweifelt, dass Sprünge, die über die 8,50 Meter hinausgehen, sauber möglich sind. "Jetzt habe ich es selbst anders gemacht und hoffe, dass das nicht infrage gestellt wird." Denen gegenüber, die schon einmal mit Doping in Verbindung gebracht worden sind, gibt sich Bayer zurückhaltend. Der DLV hatte zum Beispiel mal Nelio Moura, den Trainer von Weitsprung-Olympiasieger Irving Saladino, zu einem Workshop eingeladen. Bayers Kommentar: "Seine Vergangenheit ist ja nicht so rosig, von so einem muss ich mir nicht sagen lassen, wie es geht." Eine Athletin aus dem Team von Moura wurde des Dopings überführt. Damit kommt dieser Trainer für Bayer als Ratgeber nicht mehr infrage. Er vertraut in Bremen auf andere: zum Beispiel Jens Ellrott, auch Coach seiner Freundin, der Hürdensprinterin Carolin Nytra. Ellrott hat Bayer zu einem besseren Sprinter gemacht. Dabei hat Bayer Ende 2005 gar nicht gewusst, ob er weitermachen kann mit dem Leistungssport. Er laborierte noch an den Folgen eines dreifachen Mittelfußbruches. Doch er veränderte seinen Absprung - und schaffte den Coup von Turin

Der 22-Jährige steht jetzt vor dem Problem, ewig an diesem Sprung gemessen zu werden. 8,71 Meter. Nur 8 Zentimeter unter dem Hallenweltrekord von Carl Lewis. Diese Weite wird ihn verfolgen. Er ist der Mann, der so weit fliegen kann. Aber kann er das auch noch einmal? Bayer ist sich nicht sicher. "Diese Leistung muss ich ja jetzt erst mal bestätigen", sagt er. Deshalb gibt er als Ziel für die WM im August in Berlin die Finalteilnahme an. Mehr nicht.

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1 Kommentar

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  • WW
    Wilhelm Westerkamp

    Ich glaube dass Ihr Titel " Das Wunder von Turin"

    falsch gewählt ist. Im heutigen knallharten

    Hochleistungssport gibt es vorallem Doping

    ohne Ende. Auch die positiven Befunde aller

    Sportarten insgesamt, beträgt lächerliche 1,6%.

    Genug Möglichkeiten also, um zu betrügen.

     

    Mit freundlichen Grüßen

    Wilhelm Westerkamp