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Weiterbildung statt Arbeitslosigkeit

130 Jobs in Lokstedt in Gefahr. Belegschaft kämpft für Qualifizierung  ■ Von Kai von Appen

„Wir lassen uns nicht wie die Lämmer zur Schlachtbank führen.“ Helmut Jensch, Betriebsrat beim Fußschutzartikel-Hersteller Berkemann liebt Vergleiche aus der Tierwelt, wenn er die angespannte Situation an seinem Arbeitsplatz in Lokstedt schildert. Denn der Betrieb, der ursprünglich zu den Marktführern für Stützstrümpfe oder Metallkappen für Arbeitsschuhe gehörte, wurde in den vergangenen Jahren systematisch demontiert. Lukrative Produktionen lagerte der Bauerfeind-Konzern, zu dem der Betrieb gehört, in die zweite Berkemann-Produktionsstätte im nordrhein-westfälischen Remscheid aus. „Wenn man der Kuh den Euter abschneidet“, so Jensch's Vergleich, „ist sie reif für die Schlachtbank“.

Da die Hamburger Betriebsstätte nicht mehr genug Gewinn abwirft, soll die gesamte Produktion – möglichst mit Einwilligung des Betriebsrat – nach Remscheid verlagert werden. Doch der Betriebsrat sagt kategorisch nein. „Über die Verlegung einer Teilproduktion hätten wir noch mit uns reden lassen“, erklärt Jensch gegenüber der taz, „doch eine Betriebsstillegung kostet 130 Leuten den Job. Die gehen dann direkt in die Arbeitslosigkeit.“ Mögliche Abfindungen würde überdies das Arbeitsamt zum Großteil abkassieren.

Die geplante Betriebsstillegung rief auch die IG Metall auf den Plan. Zusammen mit dem Betriebsrat verhandelt sie nun über einen Interessenausgleich. Widerspruchslos wird niemand Massenentlassungen in Lokstedt hinnehmen. Die Forderungen von IG Metall und Betriebsrat sind klar: Sie verlangen vom Bauerfeindkonzern die Gründung einer Qualifizierungsgesellschaft.

Konkret heißt das: Alle Beschäftigten von Berkemann in Lokstedt sollen in diese Qualifizierungsgesellschaft übergehen. Offiziell als KurzarbeiterInnen würden sie dort zwei Jahre lang an Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen. Der Konzern soll in dieser Zeit das Kurzarbeitergeld aufstocken, bis alle Beschäftigten 90 Prozent ihres letzten Nettolohns verdienen. Außerdem soll er sämtliche Qualifizierungsmaßnahmen finanzieren.

Am vergangenen Montag präsentierte die IG-Metall-nahe „Agentur Struktur- und Personalentwicklung“, kurz AgS, ein Konzept zur avisierten Qualifizierungsgesellschaft. Der Hamburger Geschäftsführer von Berkemann wollte gestern das Modell und die Kosten der Chefetage in Remscheid erläutern. Für den Fall einer Ablehnung hat die Lokstedter Belegschaft bereits einen Aktionsausschuß gegründet. Betriebsrat Jensch meint: „Dann geht's richtig los.“

Beim Rellinger Maschinenbauer Weyburn Bartel ging derweil der Streik für Qualifizierungsmaßnahmen unvermindert weiter. Die Geschäftsführung des Betriebs versuchte gestern, bereits fertiggestellte Nockenwellen mit LKWs aus dem bestreikten Betrieb abzutransportieren. Doch Menschenketten verhinderten das Vorhaben.

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