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Archiv-Artikel

Weißer Fleck Wahrheit

Keine Beweise: Lutz Dammbecks Film „Das Netz – Unabomber, LSD und Internet“ im Lichtmeß

Von Tim Gallwitz

„Die Wahrheit ist der Beweisbarkeit überlegen.“ Mit diesem Satz lässt Regisseur Lutz Dammbeck seinen Film Das Netz beginnen. 1930 hatte der Mathematiker Kurt Gödel nachgewiesen, dass es in jedem formal-logischen System unlösbare Probleme gibt. Damit scheint die Marschroute des Films abgesteckt, Beweise sind nicht zu erwarten. Aber Wahrheiten?

Über das Interesse am Thema Kunst und neue Technologien stößt Dammbeck auf den amerikanischen Literaturagenten John Brockman, einen ehemaligen Banker, der später zum Mittler zwischen Künstlern und Wissenschaftlern im Bereich Multimedia, Computer und Genforschung wird. Und so ist im Film der erste Knoten gefunden, von dem aus sich Dammbeck an den Fäden entlang nach hier und dort bewegt, bemüht, die Ausmaße des Netzwerkes zu erfassen. Seine „Mindmaps“ – Zettel, auf denen er Begriffe oder Personen verzeichnet –, entwickeln sich zu immer komplexeren Diagrammen. Die Reise geht nun kreuz und quer durch die USA, Personen treten auf und ab, Fakten sammeln sich an: der riesige SAGE-Computer zur Luftabwehr, das Arpanet, Vorläufer des Internets, die Macy-Konferenzen um Vorhersage und Kontrolle menschlichen Verhaltens, LSD-Versuche an Studenten, die Studie zum autoritären Charakter. Umrisse einer Konspiration zeichnen sich ab, reduzierbar auf die Zutaten, die der Filmwissenschaftler Fredric Jameson für den Verschwörungsthriller destillierte: „A potentially infinite network, along with a plausible explanation of its invisibility.“

Nach und nach färbt sich ein Faden rot: Protagonist ist Ted Kaczynski, Harvard-Absolvent, Mathematikprofessor, Eremit, der 1996 als mutmaßlicher Unabomber verhaftet wurde. Aufgrund einer Absprache zwischen Verteidigung und Anklage wurde Kaczynski ohne Verhandlung zu viermal lebenslänglich und 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Kaczynski war Urheber eines Manifests mit dem Titel „Die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft“. Diese Schrift stellt sich gegen „das System“ und dessen technologische Entwicklung und plädiert für ein „Zurück zur Natur“. Eine Idee, die von Globalisierungskritiern rege rezipiert wird – und ein Stoff, aus dem Verschwörungstheorien sind.

Dammbeck nimmt im Film Kontakt mit Kaczynski auf, um Informationen abzugleichen. Der antwortet, und es entwickelt sich ein gespenstisch freundlicher Briefwechsel, in dem Kaczynski konkreten Fragen oft ausweicht oder vorgibt, nicht genügend Zeit zu haben. Daneben entwickelt sich in Interviews, etwa mit Brockman oder dem Computerwissenschaftler David Gelernter, Opfer eines Paketsprengsatzes des Unabombers, eine feindselige Atmosphäre, wenn Dammbeck auf Kaczynski zu sprechen kommt. Über die Etikettierung „Mörder“ oder „Irrer“ hinaus will kein Gespräch aufkommen, Diskussionsverbote über Kaczynskis Ideenwelt werden ausgesprochen. Hier stellt sich dem Zuschauer die Frage, welche Position der Regisseur eigentlich vertritt. Es scheint, als hege Dammbeck versteckte Sympathie für den Gefangenen, als spiele er eine Verschwörungstheorie gegen die andere aus.

Die Stärke von Verschwörungstheorien ist ihre Fähigkeit, jeden beweisfordernden Angriff als Bestätigung ihrer Legitimität zu integrieren. Und zweitens ihren eigenen Wahrheitsgehalt vom Beweis zu entkoppeln. Und so wird klar, dass Dammbeck weder an Beweisen noch an Wahrheiten interessiert ist, sondern eine Geschichte über Wahrheiten und Beweise erzählt. Im Interview mit dem steinalten Heinz von Foerster, der sagt, dass er vom Physiker zum „Metaphysiker“ gereift sei, erfährt man, dass es auf gewisse Fragen keine einzig gültige Antwort gibt. Real und wahr ist, worauf sich die Mehrheit einigen kann. Wahrheit ist letztlich eine poetische Erzählung, und als wahr gilt jene Antwortgeschichte, die am interessantesten ist.

Do, 5.5., 20 Uhr im Lichtmeß in Anwesenheit des Regisseurs Lutz Dammbeck