themenläden und andere clubs: Weinprobe mit Bereitschaftsdienst
Vidi, Vino, Vene
Geh aus mein Herz und suche Freud! Das sage ich mir stets eindringlich, wenn ich mal wieder zu Hause zu bleiben drohe. In letzter Zeit hatte das Schicksal in Form von Krankheiten mit merkwürdigen Namen (erst eine Gürtelrose, dann Hexenschuss, ich warte nur noch auf einen Ziegenpeter) das Ausgehen in weite Ferne gerückt und mir die Vorteile eines gesunden Körpers vor Augen geführt: man merkt ja immer erst, wie fantastisch etwas funktioniert hat, wenn es nicht mehr geht.
Als ich Krücke mich letzten Dienstag trotzig doch aus dem Haus gequält hatte, vollgeklebt mit ABC-Pflastern, die ich anstatt eines T-Shirts trug, und die Gürtelrose mit einer kleinen, blitzenden Schnalle salonfähig gemacht, da trieb mich das Schicksal ausgerechnet an einen Tisch voller Ärzte.
Eigentlich war es eine Weinprobe meines Lieblingsweinladens, den zu haben man sich auch erst mit 30 leisten kann. Wie das klingt: mein Lieblingsweinladen! Meine Rentenversicherung! Meine Schwiegereltern! Mein Testament! Jedenfalls hatte mein Lieblingsweinladen in ein zugiges Kellergebäude geladen, es gab Spanier mit und ohne Kohlensäure, zwei Weiße, drei Rote, einen Dessertwein. Zwischen dem Zwitschern standen Tapas herum, Anchovis, Oliven, und wie das so ist, kam man ins Gespräch mit den Mitt- und Enddreißigern am Tisch. Herbert stritt sich mit Gundi, denn „seine Station“ hatte ihm Urlaubsverbot erteilt (ein Zugschaffner? dachte ich), Gundi wollte aber mit ihm wegfahren (was ja kein Problem sein dürfte, wenn man Bahnangestellter ist, oder?). Uwe erbot sich nun, Herberts Schicht zu übernehmen, und als ich gerade fragen wollte, in welchem Bahnhof sie denn schichteten, piepte Uwes Pieper. Uwe erhob sich, trank schnell sämtliche Probiergläser mit dem neuen Roten weg und ging ab. „Kerem Andi, mach Signal!“, witzelte ich, beseelt vom Rioja, in Piroschka-Manier Gundi zu: „Der muss wohl noch mal auf die Gleise, was?“ „Uwe ist Gehirnchirurg“, antwortete Gundi eisig. „Wir arbeiten alle im gleichen Krankenhaus.“
Der Abend war gelaufen, und so packte ich zu und fing einfach an, genau das zu tun, was Ärzte in Gesellschaft so lieben: „Gucken Sie mal, so weit ist meine Gürtelrose schon fortgeschritten, obwohl ich alle zwei Stunden Anti-Herpes-Creme draufschmiere!“ Mit diesem Ausruf zupfte ich die Schnalle vom Bauch und zeigte Herbert meine rot gesprenkelte Hüfte. „Können Sie mich mal kurz massieren, ich hab Thermalsalbe dabei“, fragte ich Gundi und drückte ihr etwas Phlogont neben die Pimientos. Und „so sieht doch ungefähr Ziegenpeter aus, oder?“, mampfte ich mit zwei in die Backen gesteckten Patatas Fritas Stefan an. Dann eskalierten die Ereignisse.
Gundi holte sofort einen Notfallkoffer aus ihrer zigarettenschachtelgroßen Handtasche (wobei mir ein schöner Satz aus einer Tussimodezeitung einfiel, die ich natürlich beim Arzt gelesen hatte: „Dürfen Handtaschen kleiner sein als der Bizeps? Wir meinen: nein!“) und fing an, mir den Arm abzubinden. In weniger als zwei Sekunden hatte sie eine Vene gefunden und benutzte ein wenig vom immer noch eiskalten Cava, um sie zu desinfizieren. „Zählen Sie doch mal alle Weinsorten des heutigen Abends auf, und zwar von hinten“, das war das Letzte, was ich hörte, bevor ich „Rioja, Navarra, Ribe...ra... del ... Duer...ooooo“ murmelnd in sanften Schlummer fiel. Am nächsten Tag hatte ich keinen Kater. JENNI ZYLKA
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