Weihnachtsmänner, Weihnachtsfrauen (6): 33 Rosen
■ Heute: Heiligabend bei Johannes Beck
Heiligabend 1961: Zwei junge Männer laufen auf Skibrettern durch den verschneiten Bayerischen Wald. In zwei Tagen legen sie 80 Kilometer zurück. Das soll ihr Übermaß an Verachtung und Ekel gegenüber dem weihnachtlichen Konsumterror zum Ausdruck bringen. Den „Tanz ums goldene Kalb“ machten sie nicht mit.
Einer der Skiläufer war Johannes Beck. Weihnachten, das hieß für den Bremer Hochschullehrer immer: zwei Geschichten. Die eine hat mit dem goldenen Kalb zu tun und empörte ihn besonders im hochmoralischen Alter von 16. Die andere hat mit Glück, Abenteuer und Geschenken zu tun sowie mit einer Schwarzwaldlandschaft namens Hotzenwald. Dort wuchs Johannes Beck als Flüchtlingskind aus dem Osten auf, mit Mutter und Bruder. Der Vater, Lehrer und Gründer verschiedener anthroposophischer Schulen, war zuerst im Krieg und trennte sich dann von der Familie. Im Winter hatten die Kinder bloß Holzschuhe, im Haus gab es drei Glühbirnen, umso stärker strahlte weihnachtlicher Glanz. Die Anthroposophenkinder hatten zu Hause einen Weihnachtsbaum mit 33 Rosen (das Alter Jesu), den Planetenzeichen und 12 Kerzen. Weihnachten – das war „Geborgenheit in der Not“.
Diese „schöne“ Weihnachtsgeschichte hat sich Beck nie ausreden lassen, auch nicht in seiner „Frankfurter Zeit“, als sich die intellektuelle Avantgarde der 60er allenfalls mit einer umgeschriebenen, sozialkritisch aufgewerteten Weihnachtsgeschichte befaßte, um ansonsten auf alternativen Weihnachtsfeten zu saufen. Die Rituale der bürgerlichen Gesellschaft vollzog man heimlich bei den Eltern, um sich nachher gleich wieder der Revolution zu widmen. Becks allerdings hatten schon Kinder.
Natürlich verband sich Becks jugendbewegte Kritik am Tanz ums goldene Kalb leicht mit der allgegenwärtigen Ökonomiekritik; doch: „Kritik an der Gesellschaft unmittelbar in mein eigenes Leben umsetzen – das habe ich nie gekonnt.“ Das Weihnachtsfest verlor erst dann an Bedeutung, als die eigene Familie zerfiel. Heiligabend wurde zu einem Essen mit Freunden, der Baum wurde eine „andere Form der Zimmerbeleuchtung“. Neuerdings muß man sich wieder um die alten Eltern kümmern und deren Weihnachtsfest mitgestalten.
Nur letztes Jahr, da paßte auf einmal alles zusammen. Johannes Beck im Kreise seiner (neuen) Familie, der fünfjährige Enkel ist auch da, man feiert Heiligabend in verschneiter Tessiner Idylle. Der Opa geht mit dem Enkel in den Wald, einen Baum schlagen. Später tritt er als Weihnachtsmann auf und erzählt (“Und es begab sich“) die Weihnachtsgeschichte. Es wird auch gesungen, allerdings Francois Villon.
Im übrigen wendet sich die Sonne. Die Tage werden heller, und das macht froh, besonders wenn man an die drei Glühbirnen im Hotzenwald denkt. BuS
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