Weihnachten in Birma: Zuckungen der weißen Masse
Seine Diktatorgeneräle nannten Birma als Symbol gegen die Verwestlichung "Myanmar". Doch zu Weihnachten darf verwestlicht werden, was die Lamettakiste hergibt.
Da steht er: so schön, so unschuldig, so echt. Ein großer Tannenbaum, mit Glaskugeln geschmückt. So weit, so gewöhnlich. Davon sieht man viele in diesen Tagen.
So schlicht, so bizarr.
Denn diese Tanne steht am Flughafen in Rangun, der Hauptstadt Birmas, eines Militärstaats, der seine Bevölkerung seit vielen Jahrzehnten einsperrt und foltert. Sie irritiert als Symbol für Heimeligkeit und Normalität hier im Herzen der Diktatur. Der Weihnachtsbaum irritiert zugleich als Fremdkörper in einem zutiefst buddhistischen Land, in dem das Christentum kaum jemanden interessiert.
Nur die wenigen Touristen, die sich hierherwagen. Aber flüchten die zu dieser Jahreszeit nicht genau vor diesem Fest zu Hause? Man kommt doch nicht nach Birma, um Weihnachten zu feiern, oder? Ich lerne: Es gibt kein Entkommen.
Einen Meter siebzig hoch sind die Trennwände um mein 5-Dollar-Zimmer, genauso hoch wie ich. Also können alle anderen, die draußen auf dem Gang vorbeilaufen, auf mich herabschauen, wenn ich auf meiner durchgesifften Matratze Angst vor Pestbeulen habe. Da es meist keinen Strom gibt, muss ich tapfer die Augen schließen und von einer Redaktion träumen, die mir Zimmer mit Wänden bis zur Decke finanziert.
Tagsüber hänge ich am Pool von Sternehotels rum, nutze den Internetzugang und die Duschen. Neben mir liegen weiße Menschen, meist mit dicken Bäuchen, einen Reiseführer Marke Lonely Planet und Bier in der Hand. Hinter uns stehen kleine Birmesen mit roten Nikolausmützen und beobachten jede Zuckung der weißen Masse, bereit, unseren Wunsch zu erfüllen. Ich muss an Mainzelmännchen denken, das Bild ist einfach zu absurd.
In der Lobby schallt "Last Christmas", im Fahrstuhl bimmelt "Jingle Bells". Von den Decken greift gold-rote Glitzerdekoration nach mir. Das ist kein südostasiatisches Shanti-Shanti-Feeling, sondern zu 1.000 Prozent zu viel des Guten.
Buddha ist groß, Buddha ist mächtig. Aber gegen Weihnachten kommt selbst der große Goldene nicht an.
Seit 1989 soll der Staat nach dem Willen der Generäle "Myanmar" heißen, um das koloniale Erbe zu tilgen und um die Dominanz der Mehrheitsethnie zum Ausdruck zu bringen - die größte Bevölkerungsgruppe heißt so. Gleichzeitig war das ein Angriff gegen die "verwestlichte" Opposition, die sich dem Namensdiktat nie beugte.
Zu Weihnachten jedoch darf hier unbekümmert verwestlicht werden, was die Lamettakiste hergibt. Das Land, unter dessen goldenen Pagoden schwärmerische Touristen Graham-Greene-Romantik suchen, ist verarmt und isoliert. Manchmal fühlt es sich hier an wie der "Last Exit" vor dem Ende der Welt. Aber um die wenigen Touristen hier zu beglücken, setzten sich die Einheimischen Zipfelmützen auf, stellen Plastiktannen, geschmückt mit Watteschnee, auf. Es ist ein verstörendes Schauspiel.
Teure Restaurants und Hotels sind mit Weihnachtsdeko zugemüllt, draußen muss ich mich vor den Schlaglöchern in Acht nehmen und aufpassen, nicht in einem zu verschwinden. Eine Militärdiktatur spielt Weihnachten. Abends sind die Lichterketten in manchen Gegenden das Einzige, was leuchtet, denn viele Birmesen haben gar keinen Strom. Wie soll ich mich hier nicht schlecht fühlen?
Die Vorteile Deutschlands (gutes Brot, abhörsichere Telefone und das RTL-Dschungel-Camp) fehlen hier. Die Nachteile (Schokoladenvielfalt, teure Telefonrechnungen und Rainer Langhans) übrigens auch. Und: Je länger ich in dem Land bin, desto mehr vermisse ich auf einmal auch das Fest der Liebe. Je wärmer es wird, desto mehr sehne ich mich nach Kälte. Dabei hasse ich den Winter.
Zu Hause stelle ich dann meinen Plastikweihnachtsbaum auf und dekoriere ihn mit Plastiksternen. Ich bin übrigens Muslimin.
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