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Archiv-Artikel

AUTOBAHNBAU ENTFACHT KRITIK AM REGIERUNGSSTIL Weiche die Eiche

VON ANDREJ IVANJI

Sein Wille gilt als oberstes Gebot, seinen Zorn möchte man lieber nicht auf eigener Haut spüren: Seit einem Jahr ist Vizepremier, Verteidigungsminister, Koordinator der Geheimdienste und Chef der Serbischen Fortschrittspartei (SNS), Aleksandar Vučić (43), der neue starke Mann Serbiens. Er kämpft gegen die Korruption, steckt die Schurken hinter Gitter, will Serbien nach Europa bringen, reformieren, modernisieren, umstrukturieren, und wehe, jemand stellt sich ihm in den Weg. Und alles ging glatt – bis plötzlich eine uralte Eiche seine Pläne durchkreuzte.

Der Sommerkummer der serbischen Nummer Eins begann vor zwei Wochen, als sich Bagger auf der Trasse des Korridor 11, der von Zentralserbien bis zur montenegrinischen Küste führt, bei dem Dorf Savinac, rund 100 Kilometer von Belgrad entfernt, einer Jahrhunderte alten Eiche nährten.

Da war sie plötzlich, imposant in ihrem Umfang, einem acht Meter breiten Stamm, Zweigen mit einer Reichweite von vierzig Metern. Die Autobahningenieure hatten sie vergessen oder ignoriert. Da schrien die sonst unscheinbaren serbischen Grünen auf: Lasst die Eiche in Ruhe! Die Autobahn muss einen Umweg machen!

In wenigen Tagen unterzeichneten über 10.000 Menschen eine Petition für die Bewahrung der Eiche. Man organisierte Rockkonzerte rund um den Baum, Wachen, man appellierte an die Welt. Die Unterstützung kam von den europäischen Grünen, von den Gezipark-Aktivisten … Da erwachten auch die Einheimischen. Legenden wurden erzählt, wie serbische Volkshelden unter dieser Eiche einschliefen und von einem Sieg gegen die Türken träumten. Man sprach vom „Fluch der Eiche“: Wer sie nur anrührt, wird einen fürchterlichen Tod sterben. So einige Bauarbeiter wichen zurück. Sicher ist sicher.

Da hatte Vučić genug. Die Eiche wird wohl nicht die Modernisierung Serbiens aufhalten, brüllte er. „Wenn ich zwischen der Autobahn und der Eiche wählen muss, wähle ich die Autobahn“, urteilte Vučić. Sollen etwa noch Dutzende Menschen auf der unsicheren Landstraße sterben, weil der Bau der Autobahn verzögert wird, fragte er und sagte: „Serbien muss sich endlich von seiner Provinzmentalität befreien.“

Da platze aber auch der Belgrader intellektuellen und sonstigen Elite der Kragen. Der junge Mann, der als Ultranationalist für Großserbien kämpfte, bevor er vor wenigen Jahren die europäische Erleuchtung erlebte, habe da so einiges durcheinander gebracht, konnte man hören.

So sei es eben mit Konvertiten, schrieb der bekannte Kolumnist Teofil Pančić. Jemand, der schon immer für Europa und Modernisierung war, hätte sicher eher Mitleid mit der Eiche, als Vučić, der zu den Kriegen, der Isolation, dem Rückstand Serbiens beigetragen habe und nun glaubt, alles schleunigst nachholen zu müssen. Und außerdem dürfte sich Vučić keinen Präzedenzfall leisten, meint Pančić: Seine Autorität würde leiden, wenn er vor einer Eiche zurückweichen würde.

Nein, die Eiche wird kein serbischer Gezipark. Und nein, was die Modernisierung angeht, ist Vučić sicher kein serbischer Kemal Pascha Atatürk. Oder wie Pančić schreibt: Wie die Türken, so ihr Atatürk.