: Weibliche Ohnmacht der Justiz
Um nach der Rosenrevolution in Georgien das Strafrecht aufzubauen, arbeitete die Bremer Amtsrichterin Ellen Best dort ein Jahr im Auftrag der EU
taz: Sie sind seit einer Woche aus der georgischen Hauptstadt Tbilissi (Tiflis) zurück, wo Sie im Auftrag des Europäischen Sicherheitsrats helfen sollten beim Aufbau des Strafrechtssystems. Haben Sie schwer gearbeitet?
Ellen Best: Es war eine umfangreiche Arbeit, wir haben ein Strategiepapier entwickelt, um das georgische Strafrechtssystem zu verbessern – von der Ermittlung bis zur Vollstreckung. Zusätzlich hatten wir den Auftrag, die sehr umfangreiche internationale Hilfe für die dortige Justiz zu koordinieren. Wir selbst waren ein neun-köpfiges europäisch besetztes Team. Gut war, dass ich Georgien schon kannte, weil ich für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit schon dort war. Allerdings läuft in Georgien derzeit eine Entlassungswelle gegen Richter – unter der Maßgabe einer „Umorganisation“. Was da geschieht, wer entlassen wird und warum, das durchschaut niemand. Es könnte einen schlechten Richter treffen, oder einen korrupten oder einen milden. Niemand weiß es – und wo vieles nicht durchschaubar ist, kochen die Gerüchte.
Was erwarten die Menschen in Georgien jetzt vom Rechtswesen?
Niemand glaubt wirklich an Gerechtigkeit und eine unabhängige Justiz. In zwei Fällen während meiner Zeit gab es sogar richtige Ausschreitungen gegen ein Urteil. Insgesamt ist die Lage ziemlich desolat. Wer beispielsweise einen Schuldentitel erwirkt, wird spätestens bei der Vollstreckung Schwierigkeiten haben. Gleichzeitig sind Strafen sehr hart – und die Verhältnisse in Haft unvorstellbar. Ich war in einem Untersuchungsgefängnis, wo etwa 40 Leute in einem unbelüfteten Raum mit Klo lebten. Noch schlimmer: Die Fälle werden im Moment nicht zeitnah abgearbeitet.
Am Ende unserer Mission hat es mich sehr aufgeregt, wenn statt 15 Richtern im Strafgericht nur vier da waren. Das heißt, die haben Leute nur in U-Haft gebracht, aber nicht entlassen. Dabei führt diese neue Regierung die Worte „human rights“ ständig im Munde. Was sind Menschenrechte? Doch eine gute Organisation, die gewährleistet, dass Leute ihre Anhörung kriegen. So banal ist das.
Welche Spuren haben Sie in Georgien hinterlassen?
Man kann das schwer messen. Viele Kollegen dort haben unser Wirken sehr begrüßt und wollten, dass wir bleiben. Die Bevölkerung will zu Europa gehören und orientiert sich dahin. Sie weiß, dass das kleine Vier-Millionen-Land Georgien ohne Schutz nicht bestehen kann. Aber die neue Regierung ist sehr auf Amerika fixiert.
Wie kommt das?
Georgien ist eine durch und durch patriarchale Gesellschaft. Frauen haben da fast nichts zu melden – außer als Mütter. Auch die Parlamentspräsidentin hat vor allem einen einflussreichen Vater. Die Sowjetzeit hat eine lediglich formelle Gleichstellung gebracht. Heute gibt es in der Justiz beispielsweise relativ viele Richterinnen – aber die Justiz hat nichts zu sagen, während in der Staatsanwaltschaft fast nur Männer sitzen, deren Macht gerade wächst. Man muss der Sache nüchtern ins Auge blicken: Die schwache Position der Justiz liegt auch in ihrer starken weiblichen Besetzung. Vertrauen in Systeme gibt es nicht, der gesellschaftliche Glaube an den starken Mann ist alt. Also orientiert sich die Regierung an dem, den sie für den mächtigsten Mann hält: George Bush. Brüssel dagegen ist doch nur eine Demokratie mit 25 Mitgliedsstaaten und ermüdenden Abstimmungsprozessen.
Wie waren die ersten Arbeitstage zurück in Bremen?
Wenn man aus einem Land kommt, wo jeder permanent von Arbeitslosigkeit bedroht ist und Justiz so wenig zählt, und sich dann anschaut, was Leute hier alles vor Gericht bringen – da musste ich mich schon umstellen. Andererseits ist Georgien ständig im Umbruch und das geht auf Kosten der Stabilität. Zum Beispiel: Als ich vergangenen September dort ankam, hatte gerade ein neuer Präsident des Obersten Gerichts angefangen. Er wurde im Februar Justizminister. Seine Stellvertreterin ist schon weg nach Amerika… Wie soll man da eine verlässliche Justiz aufbauen?
Hatte Ihre Arbeit dann einen Sinn?
Ja, die Welt wächst zusammen – und wir haben ja eine Idee davon, wie es auf der Welt zugehen soll. Die sollen wir verbreiten. Die „international community“ ist wichtig – auch wenn sie bisweilen groteske Blüten treibt.
Interview: Eva Rhode