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Weibliche Macht und ihre TückenDer lange Abschied von den drei F

Frisur, Figur, Familienstand: Spielchen um ihre "Weiblichkeit" lassen Spitzenfrauen von heute kalt. Sie wissen um Klischeefallen. Manchmal geraten sie rein. So what?

Dezent, aber nicht wirklich unweiblich: Yulia Tymoshenko, Premierministerin der Ukraine. Bild: dpa

Khertek Anchimaa-Toka war die Erste. 1940 gelangte sie an die Staatsspitze in Tannu-Tuwa, einer selbständigen Volksrepublik in den Weiten Sibiriens. Nach vier Jahren endete das Experiment im Land des Dauerfrostes. Tannu-Tuwa verlor seine Unabhängigkeit - und die Welt ihre einzige Präsidentin.

Vieles hat sich seither verändert. Frauen sind in der Politik präsent wie nie zuvor. Angela Merkel regiert das größte Land Europas. Hillary Clinton bewirbt sich ums mächtigste Präsidentenamt der Welt. Selbst in Südamerika, Heimstatt des Machismo, wandeln sich die Zeiten. In Argentinien regiert Christina Kirchner, in Chile Michelle Bachelet. Durchbrochen ist die Tradition, dass es eine Frau nur ins höchste Staatsamt schafft, wenn sie Tochter oder Witwe eines Staatschefs ist, der Vorzug der Dynastie also den Makel des Geschlechts aufhebt. Zwar endet der Vormarsch der Frauen oft noch vor der Zielgeraden, wie bei der französischen Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal und jetzt vielleicht bei Hillary Clinton. Aber sie stehen ernsthaft zur Debatte.

Politikerinnen haben sich gelöst vom Dasein als Alibifrau der Regierung, die mit einem Kinder-Alte-Arme-Ministerium abgefunden wird. Schlicht durch gute Arbeit in anderen Ämtern kontern sie das alte Vorurteil, Männer könnten qua Intellekt in jedem Gebiet brillieren, Frauen sich lediglich einfühlen - und seien damit für Mütterthemen wie Familie und Jugend prädestiniert.

Selbstverständlich ist dieser Wandel nicht. Denn immer noch wirken Mechanismen, die Frauen aus Macht und Posten drängen. In fast allen Ländern prägt nach wie vor der männliche Politiker die Norm des politischen Alphatiers. Eine Politikerin ist die Abweichung von der Regel. Die Sozialwissenschaft hat dafür den Begriff des "Token" geprägt: Der Token repräsentiert eine Minderheit. Alle Klischees, die über die Minderheit kursieren, werden dem Token, also der Frau in der Politik, angeheftet. Erst wenn die Minderheit auf 30 Prozent anwächst, verfeinert sich das Bild. Demnach müsste es reichen, wenn ein Parlament zu einem Drittel aus Frauen besteht, damit eine Politikerin nicht mehr als Abweichung von der Regel empfunden wird. Sylka Scholz aber, Soziologin an der Uni Hildesheim, bezweifelt, dass sich dies allein an einer Prozenthürde festmachen lässt. In der deutschen Politik etwa herrschen laut Scholz nach wie vor die männlichen Spielregeln - trotz einer Kanzlerin und 31,6 Prozent weiblicher Parlamentarier. "Erst allmählich schwindet das Misstrauen, dass Frauen in der harten Politik überhaupt bestehen können", sagt Scholz. Weltweit gesehen sind nach einer neuen Studie der Interparlamentarischen Union 18 Prozent aller Parlamentarier weiblich. Das sind mehr, als es jemals gegeben hat - und doch ist dies erst ein Anfang.

Den Aufstieg der Frauen hemmt auch die Tatsache, dass Menschen unbewusst dazu neigen, Ebenbilder ihrer selbst zu fördern und zu unterstützen. Diese "homosoziale Kooptation" gilt als eine Erklärung, warum Männer bevorzugt andere Männer nachholen.

Die Frauen bremst zudem eine Art Zwickmühle, die die Wissenschaft "Double Bind" getauft hat: Politikerinnen gelten entweder als nett, aber zu weich für den Job - oder als energisch und durchsetzungsfähig, aber gefühllos und unsympathisch. Eine Möglichkeit, dem "Double Bind" zu entrinnen, ist, "das Geschlecht zu neutralisieren", wie es Helga Lukoschat nennt, Chefin der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft in Berlin. Sich also bewusst jenseits der Kategorie "weiblich und sexy" zu inszenieren.

Solche Finten sind immer noch verbreitet. Denn nach wie vor schwadronieren die Medien bei Politikerinnen gerne über die drei F - Frisur, Figur, Familienstand. Dabei ist es fast egal, wie die Frau aussieht und lebt. Ist sie kinderlos, gilt sie als knallharte Karrieristin. Hat sie Familie, wird bezweifelt, dass sie sich voll dem Amt widmen kann. Strahlt die Kandidatin schön wie ein Model, gilt sie als zu zart für die harte Politik. Gibt sie sich wenig feminin, ist gerade das ein Anlass für Häme. Hyänengleich etwa fielen die Medien im letzten Wahlkampf über CDU-Kandidatin Angela Merkel her. Landauf, landab kommentierten sie Haarschnitt, Kleiderwahl und den Neigegrad ihrer Mundwinkel. "Das Merkel", kalauerte die Titanic.

Dass es dennoch einen Fortschritt gegeben hat, lässt sich daran bemessen, was nach Merkels Wahl geschah: Die Spötter sind fast verstummt. Offenbar treten die "drei F" in den Hintergrund, wenn frau es wirklich an die Macht geschafft hat. Individuelle Stärken werden wichtiger als Mann-Frau-Klischees.

Bleibt die Frage, ob der Vormarsch der Frauen in die Herzen politischer Macht auch Inhaltliches verändert hat. Setzen sie neue Akzente, verfolgen sie einen anderen politischen Stil? Die regierenden Politikerinnen liefern keine Belege für biologistische Zuschreibungen im Tenor "Frauen sind friedfertiger und sozialer". Merkel glänzte bislang nicht als Vorkämpferin der Armen und Unterdrückten. Clinton unterstützte lange den Irakkrieg. Und doch bringen die Frauen oft einen neuen Ton in die Politik. "Sie sind weniger eingebunden in Seilschaften. Das erlaubt ihnen einen distanzierteren Blick", sagt Lukoschat.

Zudem schaffen es heute auch Politikerinnen in die vorderste Front, die sich explizit zu Frauenthemen bekennen. Clinton ist verwurzelt in der Frauenbewegung, Royal nennt sich "Feministin". Bachelet engagiert sich für Gesundheit und Menschenrechte. Sich für Kitas oder den Nutzen einer Quote zu interessieren, ist immer noch ein Risiko. Aber es katapultiert Frauen nicht mehr zwangsläufig ins Aus.

All diese Indizien verfestigen einen Eindruck: Frauen haben sich fest verankert in den Zentren politischer Macht. Sie sind zwar nach wie vor eine Ausnahme. Aber sie sind heute besser gewappnet, die Fallen zu umrunden. Sie kennen den Kleingeist ihrer Gegner. Und sie können sich bestärkt fühlen von einer Aussicht: dass die Kategorie "Frau" im politischen Alltag nach und nach an Relevanz verliert.

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