■ Wegen Deckert-Urteil: Offener Brief des P.E.N. an Herzog: Sagen Sie die nötigen Worte!
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
empört und mit größter Besorgnis haben wir den Wortlaut der Begründung des Urteils gegen den Vorsitzenden der NPD, Günter Deckert, gelesen. In der Sprache der Urteilsbegründung werden Denkweisen und Haltungen offenbar, von denen wir glaubten, sie gehörten der Vergangenheit an. Die Geschichte des Nationalsozialismus hat uns gelehrt, daß Sprache der Tat vorausgeht; Sprache spiegelt Mentalitäten und das geistige Klima eines Landes.
Das P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik Deutschland sieht in der soeben im Fall Deckert erfolgten Urteilsbegründung eine skandalöse Verkehrung der bis jetzt geltenden Übereinstimmung in der Beurteilung von Verbrechen des Nationalsozialismus. Die Sprache der Begründung widerspricht nicht nur den Aussagen des Holocaust.
Unmißverständlich sympathisiert der Richter mit den Gedanken des Angeklagten, dem er „berechtigtes Interesse“ zugute hält; er beschreibt ihn als
„charakterstarke, verantwortungsbewußte Persönlichkeit mit klaren Grundsätzen“, dem die politi-
sche Überzeugung „Herzenssache“ sei – als rührend normal also, mit Eigenschaften, die, nach Hannah Arendt, dennoch in grauenhafter Weise die „Bana-
lität des Bösen“ zeitigten.
Die richterliche Begründung exkulpiert alle, die das Denken Deckerts teilen, mit der Behauptung, daß die Bevölkerung in ihrer übergroßen Mehrheit so denke und daß dies „billig und recht“ sei. Der Richter liefert Neonazis und anderen Rechtsextremisten damit die moralische Begründung für weitere Aktivitäten von Volksverhetzung, Rassenhaß, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener; er öffnet der Sprache der Neonazis die Schleusen.
Das verhängnisvolle Zusammenfallen der zum Wochenende angekündigten bundesweiten Aktionen von „Jungen Nationaldemokraten“ und rechtsextremistischen Gruppierungen mit dieser Urteilsbegründung fordert dringlich entschiedene, eindeutige Gegenrede.
Wir bitten Sie deshalb, sehr geehrter Herr Bundespräsident, die Möglichkeiten Ihres Amtes und Ihren ganzen Einfluß sofort einzusetzen und das so nötige Wort zu sagen, um diesem fatalen Spruch gebührend Widerspruch entgegenzusetzen.
Mit freundlichen Grüßen
hochachtungsvoll
gez. Dr. Christa Dericum
Generalsekretärin
F.d.R. Ursula Setzer
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