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Der Kommentar

Weder Festung noch offene Grenzen Europa rückt zusammen

Die EU hat sich auf den Weg zu einer gemeinsamen und kontrollierten Einwanderungspolitik gemacht. Udo Knapp findet, es sei der richtige Weg, um Nationalisten die Keule ihrer Xenophobie zu entwinden.

Seite an Seite: Frontex-Beamte aus den Niederlanden und Bulgarien an der türkisch-bulgarischen Grenze Foto: picture alliance / dpa | Vassil Donev

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 21.02.2023 | „Die tiefe soziale Kluft zwischen dem Norden und dem Süden der Welt“ ist für den früheren Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) die zentrale soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Zusammenbrüche fragiler Demokratien, nationalistische Radikalisierung und die vor allem in den Ländern des Südens Lebensraum zerstörenden Auswirkungen der Klimakrise werden in den kommenden Jahrzehnten weltweite destabilisierende Prozesse und Migrationsbewegungen auslösen.

Diese Migrationsbewegungen werden die heute hegemonialen Industrieländer des Nordens bis an ihre Existenzgrenzen herausfordern. Die Industrieländer werden kaum in der Lage sein, die Entwicklungsdefizite in den Südländern mit finanzieller Unterstützung so auszugleichen, dass dort jeder Grund für das Wandern in die Länder des Nordens entfällt.

Diese Tatsachen werden in der Politik der EU nun handlungsleitend zur Kenntnis genommen. Mit den Beschlüssen der EU-Staatschefs in der letzten Woche in Brüssel ist das Hin und Her zwischen moralisierendem Gerede von prinzipiell offenen Grenzen und dem populistischen und neonationalistischen Geschrei nach totaler Abschottung Europas einem Einstieg in eine Migrationspolitik gewichen, die die Unabwendbarkeit der Migration nicht länger leugnet.

Die EU will mit dem Zurückweisen unkontrollierter Migration, der geförderten Integration der Zuwanderer und einem Einstieg in eine weltweit koordinierte Unterstützung der Länder des Südens die Migration für alle EU-Länder kanalisieren und kontrollieren.

Nach außen will die EU die abschottende Befestigung ihrer Außengrenzen durch gemeinsame Projekte des Grenzmanagements auf den Weg bringen. Dazu gehört die EU-Mitfinanzierung von Grenzzäunen, der Ausbau der Infrastruktur der Grenzkontrollen durch nationale und EU-Grenzpolizei-Behörden und eine gemeinsame Luftüberwachung der EU-Außengrenzen.

Die EU unternimmt mit diesem Ausbau ihrer Außengrenzen, mit ausdrücklicher Zustimmung von Bundeskanzler Scholz, die nächsten Schritte zur Aufrichtung eines gemeinsamen und von allen EU-Ländern getragenen staatlichen Gewaltmonopols der EU. Die EU-Außengrenzen werden zu EU-Staatsgrenzen, gemeinsam befestigt und gemeinsam kontrolliert.

Die Beschlüsse haben nach innen auch die europaweite Vereinheitlichung des Asylrechts und die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber nach gemeinsamen Regeln auf die Tagesordnung gebracht. Die heute verhinderten Abschiebungen durch die Verweigerung von Wiederaufnahme in den Herkunftsländern soll durch eine wenn nötig restriktive Visa-Politik und haushaltspolitische Sanktionen gegenüber diesen Ländern erzwungen werden.

Das Einwandern in die europäischen Arbeitsmärkte ist aus demographischen Gründen notwendig

Diese Beschlüsse signalisieren nur den Beginn einer gemeinsamen Migrationspolitik. Zu einer solchen Politik gehört auch die sofortige und europaweit endgültige Entscheidung über den Asylanspruch in dem Land, in dem die Einreise erfolgt ist. Hierzu müssten für die Asylbewerber verpflichtende Aufenthaltsorte direkt an den EU-Außengrenzen oder auch außerhalb der EU eingerichtet werden. Hier könnten dann europaweit gültige, rechtssichere Prüfverfahren der Asylanträge durchgeführt werden. Missbrauch des Asylrechtes zum Zwecke des Einwanderns könnte damit auch reduziert werden, weil klar ist, dass eine Abschiebung nach Abschluss des Verfahrens sofort vollzogen wird.

Durch eine solche Vereinheitlichung der Verfahren könnten nicht nachvollziehbare Entscheidungen der nationalen Asylentscheider vermieden werden. Das betrifft etwa den Fall des seit 40 Jahren mit Familie in Sachsen lebenden und arbeitendeen Vietnamesen Pham Phi Son, der wegen eines Fehlers bei seinen Urlaubs-Visa-Anträgen abgeschoben werden soll, wovor ihn aktuell nur das Kirchenasyl rettet.

In diesem Zusammenhang könnte auch über eine Ausweitung von Asylgründen gesprochen werden, die mit guten Gründen angesichts der deutschen Verbrechen in der Nazizeit formuliert worden sind. Auch wenn es verfassungsrechtlich nicht einfach zu regeln wäre, braucht es einen Asylanspruch für Frauen, die aufgrund ihres Geschlechts in ihren Heimatländern gedemütigt, verfolgt und erschlagen werden.

Neben einem EU-Asylrecht wird auch ein EU-Einwanderungsrecht gebraucht. Das Einwandern in die Arbeitsmärkte und die Gesellschaft in Europa ist vor allem aus demographischen Gründen zwingend notwendig. Es kann verfahrenssicher geregelt werden, dafür gibt es gute Vorbilder.

In der bundesdeutschen Gesellschaft sind die Tatsachen der aktuellen und zukünftigen Migration Allgemeingut. Von einer generellen Feindlichkeit gegenüber Flüchtlingen kann keine Rede sein. Die Bundesrepublik hat 2022 über eine Million ukrainische Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Viele von Ihnen werden auf Dauer in Deutschland bleiben. Im gleichen Zeitraum sind fast 300.000 Asylbewerber aus anderen Ländern eingereist. Von ihnen wird die große Mehrheit kein Asyl erhalten, aber es ist jetzt schon klar, dass sie nicht abgeschoben werden. Es ist nachvollziehbar, dass Leute diesen gezielten Missbrauch kritisieren und Kommunen immer weniger bereit sind, ihre ohnehin unterfinanzierten Haushalte mit der dauerhaften Versorgung von abgelehnten Asylbewerbern zu belasten. Hier braucht es rechtliche Vorgaben, die diese Menschen zu mehr Eigenverantwortung für ihren Lebensunterhalt verpflichten und ihnen nur eingeschränkt und subsidiär öffentliche Hilfe gewähren.

Die Beschlüsse von Brüssel zu einer gemeinsamen Abschottung der Außengrenzen sind der Beginn einer gemeinsamen europäischen Migrationspolitik nach innen und außen. Sie sind die richtigen Instrumente. den illiberalen und nationalistischen Populisten in nahezu allen EU-Ländern die Keule ihrer Xenophobie zu entwinden und damit ihrer zentralen Erzählung den politischen Wirkungsraum zu entziehen.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.