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Weddinger „Problemhaus“Umziehen um zwölf

In einer Hauruckaktion verlegt der Bezirk Mitte Menschen aus einem Haus in der Kameruner Straße in eine Notunterkunft. Das Motiv der Behörden: Kinderschutz.

Von außen nur zu erahnen: die Wohnverhältnisse in der Kameruner Straße Foto: Christian Mang

Der Bezirk Mitte ist in einem „Problemhaus“ in der Kameruner Straße aktiv geworden: Unter Verweis auf den Kinderschutz wurden am Freitag mehrere Familien vorübergehend in einer freigewordenen Notunterkunft untergebracht. Ein Team des Jugend- und Gesundheitsamts Mitte hatten am Morgen nach einer Begehung des Hauses im Weddinger Afrikanischen Viertel den Schritt veranlasst.

„Der Kinderschutzdienst hat einstimmig entschieden, dass die Situation so gefährdend und bedrohlich für die Kinder war, dass wir handeln mussten“, sagte Jugendamtsleiterin Monika Goral. Das Wohnhaus, über das auch die taz berichtet hatte, ist nun für Familien mit minderjährigen Kindern gesperrt.

Die MieterInnen des Hauses, darunter viele Roma aus Bulgarien und Rumänien, traf die Aktion unvorbereitet. „Man hat uns gesagt, dass Familien mit kleinen Kindern in zwei Stunden ausziehen müssen“, berichtete ein Bewohner. Schulkinder seien für 11.30 Uhr nach Hause zu bestellen, bis 12 Uhr die nötigsten Sachen zu packen.

Am Mittag kam es dann zu teils chaotischen Szenen am Haus. Drei Übersetzerinnen waren beschäftigt, Fragen der BewohnerInnen zu beantworten, wo es hingehe, wie man dort untergebracht sei, was man mitnehmen solle. Einige BewohnerInnen, wie eine Mutter zweier Kinder, erfuhren erst auf dem Rückweg von der Arbeit durch ein Plakat im Hausflur, dass sie nun nicht mehr in ihrer Wohnung schlafen dürften.

„Es war sicher für viele Familien erschreckend, dass wir so stark in ihr Leben eingreifen. Aber Kinderschutz ist manchmal Klarheit und das sind dann hard facts. Es war eine Intervention und kein Angebot“, verteidigte Jugendamtsleiterin Goral das Vorgehen.

Keine akute Bedrohung?

Nur wenige Tage vor dem erzwungenen Umzug hatte die Bezirksstadträtin für Jugend und Familie, Sandra Obermeyer (parteilos, für die Linke), gegenüber der taz erklärt, das Jugendamt habe bei Überprüfungen funktionierende und fürsorgliche Familien in einer desolaten Wohnsituation vorgefunden, das Kindeswohl aber nicht als akut bedroht gesehen.

Aufmerksam geworden war das Amt auf das Haus in der Kameruner Ecke Lüderitzstraße im Sommer Eine nahe gelegene Grundschule hatte 17 Meldungen von Kindeswohlgefährdung wegen des schlechten Zustands der Immobilie eingereicht: In den Wohnungen – meist einzelne Zimmer, die von einer ganzen Familie bewohnt werden – gab es Schimmel und Feuchtigkeit, die Toiletten waren teilweise defekt, in den Müllbergen auf dem Hof tummelten sich Ratten.

Verschiedene Stellen im Bezirk hatten seither Versuche zur Verbesserung unternommen. Man suchte auch die Kooperation mit dem Eigentümer des Hauses, der Kontakt war laut Obermeyer aber sehr zäh. „Unsere Erfahrungen der letzten Monate und die missglückte Rattenbekämpfung haben maßgeblich zur Entscheidung beigetragen, das Haus nun für Familien zu sperren“, erklärte Goral die Entscheidung.

Lösung nur für zwei Wochen

Etwa 30 MieterInnen traten bereitwillig den Umzug in die Übergangsbleibe im Ortsteil Gesundbrunnen an. Dort zeigte sich das Personal stellenweise überwältigt von der Situation. „Wir sind eine Müllhalde, hier kann eigentlich keiner einziehen“, sagte ein Mitarbeiter. Am Vormittag sei der Notruf gekommen, man müsse Menschen aufnehmen. Zwei Tage vorher hätten hier noch 180 Geflüchtete gewohnt. Auf den Schulgängen standen Bettgestelle, Matratzen und Müll, als die neuen Bewohner ankamen. „Wir waren gerade dabei, aufzuräumen. Wir dachten, wir hätten jetzt geschlossen“, sagte der Mitarbeiter.

Für vorerst zwei Wochen sollen die Familien nun in der ehemaligen Schule wohnen. Wohin sie dann ziehen, ist laut Jugendamt noch unklar, „aber nicht aus Mangel an Kreativität, sondern weil wir noch gar nicht wissen, was die Familien wollen“, so Goral. Mit Verweis auf die Wohnraumknappheit waren Bezirk und Land der Option einer anderweitigen Unterbringung bislang zurückhaltend begegnet.

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1 Kommentar

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  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Genau um solche Zustände zu vermeiden sollte man vorher überlegenen was offene Grenzen bewirken und wie solche Situationen zu lösen sind.

    Das Problem ist nicht, dass die Menschen kommen. Das Problem ist die fehlende politische Handlung.

    Die Raute zu zeigen und zu sagen, wir schaffen das, reicht nicht aus.

    Mit "Wir" ist die politische Klasse jedenfalls nicht gemeint.