"Watchmen"-Schöpfer über Superhelden: Nixons sadistische Superhelden
Mit seiner Graphic Novel "Watchmen" hat Alan Moore das Superhelden-Genre revolutioniert. Von der aktuellen Filmadaption seiner Werke hält der Brite nicht viel.
![](https://taz.de/picture/360288/14/WATCHMEN_SC-Cover_b.jpg)
Superhelden, die vergewaltigen, Nixon zu einer dritten Amtszeit verhelfen und mit dem Weltuntergang zündeln. Ein Comic, der Fragmente von Fanzines, Krankenberichten und eine Biografie enthält: Inhaltlich wie formal hat Alan Moores "Watchmen" das Genre revolutioniert. Und zwar mit Fragen, die vor ihm niemand gestellt hat: Was passiert mit Männern, die für sich das Recht beanspruchen, über dem Recht zu stehen? Nicht ein muskelbepackter Heiligenschein, sondern Sadismus und Selbstgerechtigkeit sind elementare Bestandteile der Superhelden-Selbstjustiz. "Warum sind Superhelden in Amerika entstanden?", fragt sich Moore - und gibt sich gleich selbst die Antwort: "Amerika zieht nur in einen Krieg oder Konflikt, wenn es über eine überwältigende taktische Überlegenheit verfügt. Superhelden sind Ausdruck des Wunsches nach Unverletzlichkeit."
Die Verfilmung von Moores Comic wird ab der kommenden Woche weltweit in den Kinos zu sehen sein. Regisseur Zack Snyder hat sich des Stoffs angenommen, Alan Moore zeigt sich aber wenig davon begeistert. Auch andere Adaptionen seiner Comics wie "V wie Vendetta" fanden in seinen Augen keine Gnade. Moore kam 1953 im englischen Northampton zur Welt, wo er heute noch lebt. Nur selten verlässt er den Ort; kauzig lässt er verlauten, er schätze Telefoninterviews, da müsse er nicht aus dem Haus. Der erste Höreindruck ist eine Überraschung: ein elegantes Englisch, eine sehr ruhige Diktion, kontrastiert durch eine starke Dialektfärbung. Moore erzählt gerne, seine Ausführungen sind luzide, er ist ein hervorragender Interpret seiner eigenen Arbeiten.
Eine Eigenschaft, die ihm sicher bei der Arbeit mit Zeichnern geholfen hat, bei dem, wie er sagt, "einzigartigen Effekt, der bei der Vereinigung von Bild und Text im Comic entsteht". Moore ist seit fast 30 Jahren einer der gefragtesten Szenaristen, der mit ganz unterschiedlichen Künstlern zusammenarbeitet. Und überraschenderweise einer, der sowohl im Avantgardemagazin Raw als auch beim mächtigen DC-Verlag veröffentlichte, einer, den also alle zu mögen scheinen. Ein Buchmensch, dem Shelleys romantische Gedichte ebenso nah sind wie die Superman-Geschichten aus den 30ern, der aber auch über die Zeitphänomene im Einsteinschen Universum Bescheid weiß. All das fließt in seine Comics ein, nie als Bildungsprunkstück oder schmückendes Beiwerk. In seinem Erzählen gibt es immer mehrere Ebenen, die auf ihre Art die Geschichte voranbringen: als Theorie, als Ausblick, als Kontrast.
Herausragend sind seine Arbeiten dann, wenn er ein Genre neu definieren will - was ihm nach eigener Aussage nicht immer gelingt. Seine Figuren sind extrem, viele von ihnen vereinbaren scheinbar diametral entgegengesetzte Motive: einen wissenschaftlich geschulten Geist mit kaltem Messianismus. "Im Comic gibt es sehr dramatische Charaktere, die dazu neigen, was immer sie ausmacht, bis ins Extrem auszuleben. Mutmaßlich gehen deswegen meine Helden so weit in ihrem Streben nach Apokalypse oder Utopie. Oder sie streben nach der Utopie und der Apokalypse gleichzeitig."
Diese spannungsgeladene Gleichzeitigkeit macht Moores Figuren einzigartig. Sie passen in kein Gut-Böse-Schema, die Figur Rorschach aus "Watchmen" ist für Moore "fast ein Nazi". Ihr Zerstören ist fröhlich, ihr Aufbauen rücksichtslos. In "V wie Vendetta" foltert der Held eine junge Frau, um aus ihr eine Nachfolgerin zu machen. V, so nennt er sich, kämpft gegen ein faschistisches Regime, aber für Moore ist das keine Rechtfertigung für die Tat. Alan Moore arbeitet nicht mit Heiligenfiguren, sondern mit Kräften, die er aufeinander prallen lässt, um zu sehen, was sich daraus entwickelt.
Wie kein anderer Comicautor kann er genaue Fragen formulieren, und er liebt es, sie offen zu halten. Allerdings zeigen seine letzten Arbeiten Anzeichen von Altersmilde. Seine letzten Superhelden-Geschichten, wie etwa die "Supreme"-Serie, sind Versuche, zu zeigen, warum er als Kind das Genre so geliebt hat: "Superhelden waren kein Ausdruck von Rachefantasien. Superman war nicht so wunderbar, weil er seine Feinde verkloppen konnte, nein, sondern weil er einen Hund mit einem Cape hatte, weil seine Freundin eine Meerjungfrau war und weil er eine Stadt in einer Flasche hatte." Pure, von keiner Wirklichkeit beschränkte Imagination - das liebt Moore an diesem Genre. Aber die Wiederherstellung der Faszination gelingt Moore nicht recht. "Supreme" ist ein Meta-Comic, alles ist Verweis, die Freude ist nicht kindlich, sondern intellektuell. Allerdings bringt dieses Scheitern immer noch viel spannendere Geschichten hervor als die meisten Superheldencomics. Supreme begegnet all den über die Jahrzehnte dem jeweiligen Zeitgeschmack angepassten Vorgängern seiner selbst. Statt zum Helden wird er zum multiplen Abziehbild. Darin lässt sich eine Abrechnung Moores mit den Verhältnissen in den USA erkennen, wo die Figuren meist nicht den Autoren gehören, sondern den Verlagen. Superman ist hier ein seelenloser Wiedergänger, der fahrig durch die Seiten spukt.
Etwas Verlorenes wiederherzustellen, versucht Moore auch mit der dreibändigen graphic novel "Lost Girls". Es ist Meta-Pornografie. Der Kritiker Denis Scheck hat "Los Girls" als "Zauberberg, aber Porno" bezeichnet. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg treffen die gealterten Wendy aus "Peter Pan", Dorothy aus "Der Zauberer von Oz" und Alice aus "Alice im Wunderland" zusammen und erleben wunderbar unbeschwerte sexuelle Abenteuer, miteinander, aber nicht nur. "Lost Girls" ist explizit und zugleich voller literarischer Anspielungen, aber leider doch irgendwann eine Nummernrevue. Moore empfiehlt allen Paaren, an einem pornografischen Werk zu arbeiten, es würde die Beziehung stabilisieren. Die pastellenen Kreidezeichnungen von Melinda Gebbie, Moores Ehefrau, lassen zwar keine Deutlichkeit vermissen, aber es fehlt ihnen jede Comicdynamik. Pastell will einfach nicht recht zu Moore, diesem Meister des Düsteren, passen. Auch Sex braucht gute Fragen. Also warten wir auf die nächste Revolution eines Genres durch Alan Moore. Er sitzt gerade an einem großen Roman mit dem Titel "Jerusalem".
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