: Was wird aus »Haus Marianne«
■ Das Haus Mariannenstraße 9/10 noch immer leer/ Der Streit um das Gesundheitshaus in SO 36 findet kein Ende/ Bekommt ein Autohändler das Gebäude? Bewohner wollen endlich Klarheit
Kreuzberg. Die CDU Kreuzberg wußte von vornherein, was in SO 36 am nötigsten ist: Eine neue Polizeiwache. Doch das ist nur der skurrilste Vorschlag von vielen, die sich mit der zukünftigen Nutzung des Hauses Mariannenstraße 9/10 befaßten.
Am 20. März 1986 beschloß die Bezirksverordnetenversammlung die Gründung eines »Gesundheitshauses«. Ziel dieser Einrichtung sollte es sein, mehrere Gesundheitseinrichtungen unter einem Dach zu vereinen und den Charakter der Institution so zu gestalten, daß Patienten oder Hilfesuchende, die normalerweise mit Schwellenängsten vor »amtlichen« Beratungsstellen wieder kehrt machen, die Annahme des Hilfsangebotes psychologisch erleichtert wird.
Was diesem BVV-Beschluß folgte, gleicht einer Lehrstunde für bürokratische Studien der höheren Kategorie. Das alte Bewaggebäude in der Mariannenstraße, daß bereits seit Jahren nicht mehr als Umspannwerk genutzt wird, schien für das Projekt Gesundheitshaus schon auf Grund seiner zentralen Lage im Kiez geeignet zu sein. Der Bereitschaft des Bezirksamtes, das Haus von der Bewag käuflich zu erwerben, stand lediglich ein Hindernis im Weg: Das Geld dafür mußte aus dem Senatshaushalt lockergemacht werden — für solche Erwerbungen stehen dem Bezirk keine Mittel zur Verfügung. Es begann ein langwieriger Papierkrieg zwischen der Senatsverwaltung für Finanzen, den zuständigen Stellen des Bezirksamtes, der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales sowie anderen papierverarbeitenden Instanzen.
So begründete beispielsweise im September 1988 der damalige Senator für Finanzen in einem mehrseitigen Brief an den Gesundheitssenator unter anderem seine ablehnende Haltung gegenüber dem Projekt damit, daß es in dem geplanten Gesundheitshaus einen »Kuschelraum gäbe«. O-Ton SenFin: »Die Notwendigkeit dieses Raumes muß bezweifelt werden«. Des weiteren monierte er den seiner Meinung nach zu hohen Anteil an WC's, die Zwei-Zimmer- Wohnung für den Hausmeister und anderes mehr. Tenor des Schreibens: Eigentlich braucht Kreuzberg gar kein Gesundheitshaus — es gibt eh schon viel zu viel Beratungsstellen. Das Bezirksamt konterte mit der Feststellung, daß lediglich eine Verlagerung von Beratungsstellen erfolgen würde, nahm den »Kuschelraum« aus der Planung und strich einige der monierten Waschbecken aus dem Projekt heraus. Es dauerte auch gar nicht lange, da fiel dem Finanzsenator ein, daß das Haus vielleicht baufällig sein könnte. In einer knapp einstündigen Begehung wollten dann Senatsbeamte den Verdacht bestätigt gefunden haben wollen. Der Protest der Gesundheitshaus-Verteidiger ließ nicht lange auf sich warten: Ein von S.T.E.R.N. beauftragter Fachmann wies das Gegenteil nach. Zwischenzeitlich wurde das umworbene Gebäude mehrmals besetzt, so unter anderem im Juni vergangenen Jahres von einer Frauen- und Lesbeninitiative.
Um neuerliche Besetzungen zu verhindern, engagierte die Bewag einen privaten Wachdienst, der das Gebäude bis zum heutigen Tage unter seiner Kontrolle hat. Die Kosten für diesen Liebesdienst haben mittlerweile aber eine Höhe erreicht, mit der man mit Leichtigkeit zehn Kuschelräume, dreißig Waschbecken und vier Hausmeisterwohnungen hätte finanzieren können.
Auch scheint sich die Bewag — des ewigen Hin und Her wohl müde — nun endgültig dazu entschlossen zu haben, daß Objekt an einen Privatinteressenten zu veräußern. Im Gespräch soll ein benachbarter, im Kiez äußerst unbeliebter Autohändler zu sein, der dem Vernehmen nach auch die durch die Wach- und Schließgesellschaft zusätzlich verursachten Kosten übernehmen würde.
Dagegen wandte sich jedoch gestern eine Versammlung von Kiezbewohnern, die endlich ihr Gesundheitszentrum haben wollen. Sie forderten vom Senat, mit der »Verschaukelung von Bürgerinteressen endlich Schluß« zu machen und das Gebäude von der Bewag zu erwerben. Olaf Kampmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen