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Was tut man nur gegen Hass im Netz?Union klärt die Schuldfrage

Zu hause bei FremdenVonMiguel Szymanski

Verantwortlich für Extre­mismus, Rassismus und Radikalisierung in Deutschland sind also der Islam und Facebook. Nachdem der Bundesfinanzminister vor zwei Wochen einen deutschen Islam forderte, sieht jetzt der Unionsfraktionschef Facebook als Hauptgrund für das überhitzte Gewaltklima in Deutschland. Da fragt man sich: Ist jetzt alles erlaubt, um den Wählerschwund zu stoppen?

Um Fremdenhass, Gewalt und hasserfüllte Sprache in der Gesellschaft in den Griff zu bekommen, müssten Facebook und andere soziale Netze zur Verantwortung gezogen werden, stellt Unionsfraktionschef Volker Kader in einem Spiegel-Interview fest. Die sozialen Medien seien der Ort, an dem „sich zuerst diese hasserfüllte Sprache verbreitet“. Also nicht in rechtslastigen Herrenklubs, nicht in den Kneipen, Schrebergärten oder Fußballvereinen.

Wenn eines der größten Internetunternehmen eine Kommunikationsplattform unentgeltlich zur Verfügung stellt, ist es relativ klar, dass die Nutzer nicht Kunden, sondern die Ware sind. Ich mag das Geschäftsmodell von Facebook auch nicht, mache es aber nicht für meine Charakterschwächen oder Knieprobleme verantwortlich.

„Nach und nach hat sich dann diese Art der Auseinandersetzung über das Netz hinaus in das reale Leben ausgebreitet“, sagt Kauder im Interview weiter. Das lässt ein interessantes Bild entstehen: Der Krake aus dem Silicon Valley züchtet dieses virtuelle Gedankengut in einem Labor, im Internet entwickeln diese Gedanken dann ein Eigenleben und benutzen schließlich unschuldige Menschen, damit diese Steine auf Flüchtlingsheime werfen oder als akustische Verstärker von Hassparolen gegen Ausländer auftreten.

„Diese Entwicklung können wir aber nicht weiter hinnehmen“, sagt Kauder, denn „die Verrohung gefährdet das Zusammenleben und den demokratischen Grundkonsens“. Und der CDU-Mann droht: „Meine Geduld ist zu Ende. Facebook und die anderen Anbieter müssen sofort handeln. Wenn jetzt nichts geschieht, dann wird die Politik in Kürze reagieren. Ich werde hier nicht ruhen. Es geht hier auch um unsere demokratische Kultur, und das sehen sehr viele in meiner Fraktion genauso.“

Die Forderung: Facebook soll lesen, was die Menschen schreiben, Hass-Postings identifizieren, Inhalte filtern und löschen. Kauder und seine CDU hätten den Verfassungsschutz längst in die Eckkneipen der Republik schicken sollen. Denn Gastwirte hinten dem Tresen haben es jahrzehntelang verpasst, den Staat initiativ anzurufen, wenn ihre Kunden Hass destillieren.

In einer idealen Welt würden sich Unternehmen an die Gesetze halten. Doch die Deutsche Bank betrügt, Volkswagen schwindelt und die Deutschland AG strauchelt. Jedes Metier hat seine Marotten: Facebook wird, ähnlich wie Google, über den reinen Datenkapitalismus hinaus vom US-amerikanischen Verteidigungsministerium mit gesteuert. So ist Erik Schmidt, Chef von Alphabet/Google gleichzeitig Berater und Vorsitzender einer der wichtigsten Arbeitsgruppen des Pentagon.

Das hat aber wenig mit Face­books Funktion als Kloake menschlichen Denkens in Deutschland zu tun. Der Hass hier wird von konkreten Menschen in den günstigsten zur Verfügung stehenden Kommunikationskanal eingespeist. Der Rechtsstaat sollte auch im Internet funktionieren. Wenn jemand schriftlich beleidigt oder bedroht wird und Anzeige erstattet, sollte der Autor der Beleidigungen und Drohungen identifiziert werden können. Das ist in den meisten Fällen im Internet nicht schwerer als im Straßenverkehr.

Aber: Soziale Netze existierten vor dem Internet. Extremisten kamen an die Macht ohne Facebook oder Twitter. Und auch früher schon wurden Hasspredigten verbreitet – damals eben in Bierzelten oder über Videokassetten.

Was also wird die CDU als Nächstes vorschlagen? Streichhölzer und Feuerzeuge zu verbieten, weil Menschen damit nicht nur Zigaretten, sondern auch Brandbomben anzünden können?

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