■ Was tun mit den Arbeitslosen?: „Bündnis für Arbeit“ unter Druck bringen!
Die Republik lebt mit fast vier Millionen registrierten Arbeitslosen erstaunlich gut – keine spürbare politische Unruhe, wie zum Beispiel in Frankreich, kein glaubwürdiger politischer Aufschrei. Irgendwie geht es, verhungern tut niemand. Auch bei fünf oder sechs Millionen Arbeitslosen ist eher nicht zu erwarten, daß die immer wieder zitierte soziale Zeitbombe explodiert. Sie wird als soziale Ausgrenzung erlitten, man wurstelt sich durch.
Dazu paßt, daß sich die verantwortlichen Tarifpartner und Politiker bisher ergebnislos über ein Bündnis für Arbeit auseinandersetzten. Man hat den Eindruck, die IG Metall fürchte sich inzwischen vor ihrem eigenen Vorschlag und Politiker wie Arbeitgeber sind eher an einem Begräbnis dritter Klasse interessiert: Symbolische Aufgeregtheit und Besorgtheit ohne Folgen.
Die neuesten Arbeitsmarktdaten verlangen eigentlich einen radikalen Perspektivwechsel: Gesellschaftlich sinnvolle Arbeit gibt es zu Hauf und Menschen ebenso, die dafür qualifiziert und motiviert sind. Wer 270 Milliarden Mark für die Treuhand ausgibt, muß auch gesellschaftlich sinnvolle Arbeit gesellschaftlich finanzieren. Weg also vom klassischen Arbeitsbegriff von Markt und Staat zu einer phantasievollen Strategie von Arbeit und Menschen.
Alle Arbeit ist zu bezahlen, die gesellschaftlich sinnvoll ist und Menschen vor ihrer Identitätszerstörung bewahrt. Sie wäre menschlicher, billiger und ein Zeichen einer Zivilgesellschaft, welche die wertvollste Ressource Mensch menschenrechtlich behandelt. Hinzu käme eine solidarische Arbeitsumverteilung, die Einkommenseinbußen in den oberen Bereichen mit Zeitwohlstand und neuen Arbeitsplätzen verbindet. Zwickels Vorschlag ist zu radikalisieren vor allem für den öffentlichen Dienst: Zehnprozentige Einkommenseinbußen in den oberen Bereichen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze könnten zeigen, daß solidarische Arbeitsumverteilung möglich ist.
Aber ein Bündnis für Arbeit wird erst unter politischen Entscheidungsdruck geraten, wenn die sozial Deklassierten einen gesellschaftlichen Konflikt provozieren, der die Etablierten das Fürchten lehrt. Arbeitslose werden das nicht sein. Wenn ein massiver Konflikt zu erwarten steht, dann von den 1,3 Millionen Jugendlichen der Republik, die keine Lehre, keinen Arbeitsplatz oder Sozialhilfe haben und das Zukunftsloch wahrnehmen, in das sie gestürzt werden. Jugend läßt sich auf Dauer nicht ausschließen. Ein Bündnis für Arbeit und ein Aufbegehren der Jugend wäre der Stoff, aus dem sich Veränderungen ergeben könnten. Peter Grottian
Prof. Grottian lehrt am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität
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