■ Was nun, Waldorf? Die Debatte geht weiter: Die Welt ist voller Dummheit
betr.: „Einschüchterung auf Waldorf-Art“ (Waldorfschulen und ihre Kritiker), taz vom 4. 8. 00
Mir ist derzeit unvorstellbar, wie mein intellektuelles Vermögen mehr strapaziert werden könnte als mit der Auseinandersetzung über die Waldorfschulen und Rassismus. Dazu etwas zu sagen, Stellung zu beziehen, gar Partei zu ergreifen für die Schule, die mir Heimat gewesen, ist mir nicht möglich.
Denn hilflos erfahre ich, dass gedankenlos über Petitessen gestritten wird. Angesichts der Gedanken und Mitteilung der Steinerschen Geistesforschung (zirka 80.000 Seiten) krämern die Nellessens (= SWR-Report) und jene, die es schon lange wussten, ein paar Äußerungen (= Vokabeln) hervor, um zu belegen, dass die Anthroposophie und eines ihrer Ergebnisse, die Arbeiterschule der Waldorf-Astoria-Zigaretten-Fabrik (= Waldorfschule) durchrasste Unternehmungen sind.
Von den zirka 80.000 Seiten haben sie – wenn’s hochkommt – vielleicht 800 Seiten gelesen (= ein Prozent); vermutlich Herr Nellessen noch weniger. Dennoch lässt weder er sich noch „Report“ einschüchtern. Stramme Haltung. Aber auch – wie alle strammen Haltungen – dumm. [. . .]
Liebe tazlerInnen, beendet den Spuk. Die Welt ist voller Dummheit, fügt ihr nicht eine weiter hinzu. PETER FINCKH, Ulm
[. . .] Wie wäre es zum Beispiel mal mit dem Hinweis, dass die Waldorfschulen in der Nazizeit, ebenso wie die gesamte anthroposophische Bewegung, verboten war oder mit einer Bemerkung darüber, dass Steiner zahlreiche bedeutende Juden seiner Zeit zu seinen Freunden zählte? Wie wäre es mit der Erwähnung der Existenz zahlreicher Einrichtungen für behinderte Kinder und Erwachsene, die auf Basis der Anthroposophie arbeiten oder mit einem Bericht über die Waldorfaktivitäten in Südafrika (für schwarze und weiße Kinder) oder in Brasilien?
Es enttäuscht mich maßlos, dass ihr ein paar weltfremde und wunderliche Anthroposophen, die es, zugegeben, auch gibt, zum Maßstab macht für die Waldorfschulen insgesamt. Es findet eine Diffamierung einer Minderheit in der Gesellschaft statt, die sich um eine Erziehung der Kinder jenseits von einseitigem Leistungs- und Konkurrenzdenken bemüht, um eine Denken, Fühlen und Wollen umfassende Bildung. [. . .] CHRISTIANE GERBER, Leipzig
[. . .] Den breitesten Raum im Artikel bekommen diverse Waldorf-KritikerInnen, deren Zitate den völlig unzutreffenden Eindruck hinterlassen, dass Anthroposophen und Waldorfschulen dasselbe wären, und die Aussagen des Bundes der Freien Waldorfschulen undifferenziert mit aufgeregten Briefen (vermutlich von Eltern) vermengen. Es zeugt von geringer Kenntnis, Anthroposophie mit Waldorfschulen, Eltern und dem Bund Freier Waldorfschulen in einen Topf zu werfen und einander gleichzusetzen. [. . .]
Es gibt zehntausende von Eltern an bundesdeutschen Waldorfschulen. Nur ein Teil von ihnen bezeichnet sich als Anthroposophen, wie übrigens auch bei weitem nicht alle Lehrer sich als solche betrachten. Aber alle Eltern haben sich aus teilweise sehr unterschiedlichen Motiven entschieden, ihre Kinder einer Schule abseits des staatlichen mainstreams anzuvertrauen.
Diese Schule ist selbst verwaltet, vertritt eine eigene, nicht ganz übliche Sicht auf die Welt und die Menschen, lehrt anders und anderes, legt viel Wert auf Gemeinschaft, Toleranz, Rücksichtnahme und Achtung vor jedem Individuum. Die Eltern zahlen aufgrund nicht ausreichender staatlicher Zuschüsse ein nicht unerhebliches Schulgeld für diese Schule und bringen darüber hinaus oftmals freiwillig viel Engagement ein.
Sie investieren also einiges an Zeit, finanziellen und ideellen Werten. Ist es so unverständlich, dass sie zahlreich reagieren, wenn der Schule ihrer Wahl mal wieder Bösartigkeit oder Ähnliches nachgesagt wird?
Und ist es so verwunderlich, dass unter den zahlreichen Reaktionen, schenkt man Herrn Friedler Glauben, nicht nur politisch korrekte, sondern auch abwertende, gemeine und dumme sind? Hier sind Waldorfschulen wahrscheinlich ein Spiegel unserer Gesellschaft, denn die Elternschaft ist (auch politisch gesehen) sehr vielfältig.
Trotz meiner Kritik am Vorgehen der taz und an den undifferenzierten, unterstellerischen Aussagen der Waldorf-KritikerInnen ist die kritische Anfrage (auch) an Waldorfschulen berechtigt: werden Worte wie „Rasse“ „arisch“ etc. unkommentiert benutzt? Werden Völker in Schablonen gepresst oder gar in abwertende Schablonen? Gibt es antisemitische, behinderten- oder ausländerfeindliche Äußerungen von (Waldorf-)Lehrern? Diese Auseinandersetzung an Waldorfschulen, aber auch anderswo, begrüße ich als engagierte Mutter an einer Waldorfschule sehr.
PETRA WERUM , Mainz
Dass die Anthroposophen – ebenso wie Scientology, VPM, Universelles Leben usw. – ihre überlegene wirtschaftliche Macht ausspielen und jeden Kritiker platt zu machen suchen, ist seit langem bekannt. Als Einzelner ist man da auf verlorenem Posten. Umso begrüßenswerter die Aktion der taz, die Einschüchterungsmaßnahmen der Anthroposophen ans Licht zu bringen. Es ist höchste Zeit, die Waldorfschulen, die nicht nur über enormes gesellschaftliches Renommee und entsprechenden politischen Einfluss verfügen, sondern wesentlich aus Steuergeldern bezahlt werden, kritisch zu durchleuchten. Sollte da tatsächlich sektoides und/oder braunes Gedankengut verbraten werden, gehören diese Schulen abgeschafft. KILIAN JANICH, München
[. . .] Wenn die Aussagen von verschiedenen Sprechern wirklich korrekt sind, die heute in der taz stehen, kann ich diese nur verurteilen. Hier wird wieder einmal gezeigt, dass Waldorfschulen sich der heutigen Zeit etwas mehr anpassen müssen. [. . .]
ASTRID BEHM , Hamburg
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