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die zeileWas meinst du mit Meinungsfreiheit?

Eric Wallis, Jahrgang 1980, bloggt als Wortgucker bei Facebook und Twitter über die Wirkung der Sprache in der Politik. Er hat über Kampagnen­sprache und Framing promoviert und arbeitet jetzt als Kampagnen- und PR-Manager.

Worte können in Mode sein – auch in den Nachrichten, je nach Großwetterlage. Hier nimmt unser Kolumnist die Modewörter der News ausein­ander. Heute: „Meinungsfreiheit“

Homonyme sind Wörter, die gleich klingen aber mehrere Bedeutungen haben. Zum Beispiel Maus. Einmal ist ein kleines Tier gemeint. Das andere Mal ein Gerät, um den Computer zu steuern. Bei Maus (Tier) und Maus (Computer) lässt sich diese Mehrdeutigkeit leicht erkennen. Schwieriger ist das bei einem politischen Begriff wie Meinungsfreiheit. Warum ist es möglich, bei offensichtlich bestehender Meinungsfreiheit, eine Debatte über den Verlust derselben zu starten? Das gelingt nur, weil auch Meinungsfreiheit ein mehrdeutiger Begriff ist.

Zum einen ist mit Meinungsfreiheit ein Grundrecht gemeint. Davon zu unterscheiden ist der AfD-Gebrauch des Wortes Meinungsfreiheit. Im Alltagssprachgebrauch wird darunter häufig nicht die Freiheit aller verstanden, sondern eine Art Meinungsindividualismus, nach dem Motto: Ich darf sagen, was ich will, und niemand darf mich daran hindern. Widerspruch wird dabei schnell als Verbot wahrgenommen.

Das Gerede vom Meinungsdiktat ist nichts anderes als das übliche „Opferframing“ der AfD. Von denen da oben, die lügen und andere mundtot machen wollen, und den darunter leidenden Opfern. Wir kennen dieses Framing bereits. Es wird ebenso ausgelöst durch Wörter wie Lügenpresse, Lückenpresse, Staatsfunk und durch den Slogan „Mut zur Wahrheit“.

Die AfD hält weiterhin gekonnt ihr Narrativ durch und – was schlimmer ist – wir alle helfen mit. Denn namhafte Medien stellen seit Wochen die Frage, wie bedroht unsere Meinungsfreiheit sei. Es ist paradox: Die AfD zweifelt an der Meinungsfreiheit und ganz Deutschland zweifelt mit. Was kaum einer sieht: Bei dieser Debatte verbreitet sich der AfD-Gebrauch des Wortes Meinungsfreiheit immer weiter – und damit das Opferframing. Und es kommt noch schlimmer. Die Antwort auf die Frage nach der bedrohten Meinungsfreiheit ist immer: dass diese selbstverständlich nicht bedroht ist. Genau jene Antwort jedoch bestätigt das AfD-Weltbild – auch für deren Zielgruppen.

Nur wer sich der Mehrdeutigkeit des Wortes Meinungsfreiheit bewusst bleibt, entgeht dem Teufelskreis. Auf den Satz „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ gibt es nur eine Antwort: „Hast du ja grad.“ Das, was Höcke und Co als Meinungsdiktatur bezeichnen, ist nichts weiter als der demokratische Grundkonsens, der mit stärkerer Stimme zurückspricht, als es dem Herrn Höcke lieb ist. Eric Wallis

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