Was macht eigentlich Pulse of Europe?: Aktivisten machen unbeirrt weiter
Im Frühjahr 2017 mobilisierte Pulse of Europe erfolgreich Tausende und warb für die Vorzüge der EU. So schnell, wie die Bewegung gekommen war, flaute sie wieder ab.
Der Gendarmenmarkt war im Jahr 2017 der Treffpunkt für Europa-Fans. Immer sonntags versammelten sich Hunderte Menschen, um bei Pulse of Europe (PoE) für die Europäische Union zu demonstrieren. Für wenige Stunden verwandelten sie den Platz in ein Meer aus EU-Fahnen und blauen Luftballons. Gemeinsam wurde Beethovens Ode an die Freude gesungen, die offizielle Hymne der EU.
Trotzdem: PoE wollte keine Jubelveranstaltung sein. „Europa stand Anfang 2017 mehreren Gefahren gegenüber“, sagt Silvan Wagenknecht, der 19-jährige Initiator von Pulse of Europe Berlin. Wenige Monate zuvor hatten die Briten für den Austritt aus der EU gestimmt. Hinzu kam die Wahl Donald Trumps. „Viele Menschen standen unter Schock und hatten das Gefühl, etwas machen zu müssen.“ PoE demonstrierte nicht nur für den Erhalt der Union. Man verstand sich auch als Plattform für Werte wie Frieden, Demokratie und Pressefreiheit.
Die erste PoE-Demo fand im November 2016 in Frankfurt am Main statt. Organisiert wurde sie vom Juristenehepaar Daniel und Sabine Röder. Wenige Monate später gab es Ableger in über 60 europäischen Städten, die meisten davon in Deutschland. In Berlin ging PoE im Februar 2017 an den Start. Zur ersten Kundgebung kamen etwa 250 Menschen.
Und es wurden schnell mehr. Im Frühling, auf dem Höhepunkt der Bewegung, versammelten sich regelmäßig Tausende Demonstranten. In Deutschland, Frankreich und den Niederlanden standen Wahlen an. Überall hatten sich nationalistische und europaskeptische Parteien in Stellung gebracht. Bei der größten Demonstration Ende März 2017 zählten die Veranstalter 7.500 Teilnehmer.
„Relativ viele junge Menschen“
Für Europa demonstrierten überwiegend Menschen aus dem bürgerlichen Milieu. „Relativ viele junge Menschen, aber auch Leute im Rentenalter. Die mittlere Generation scheint unterrepräsentiert“, beobachtete der Protestforscher Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin. Sozial abgehängte Schichten seien vermutlich nicht dabei gewesen.
Sorge dürfte den Demonstranten vor allem die Präsidentschaftswahl in Frankreich gemacht haben. „Ich glaube, dass die Leute mehr Angst vor Marine Le Pen hatten als vor der AfD“, sagt Wagenknecht. Die Rechtspopulistin und erklärte EU-Gegnerin wollte im Falle ihres Sieges über einen Frexit abstimmen lassen. Am Tag der Wahl waren auf dem Gendarmenmarkt neben Europa-Fahnen auch viele Trikoloren zu sehen. Demonstranten riefen auf Französisch: „Français, restez avec nous.“ Und die Franzosen blieben. Le Pen unterlag dem proeuropäischen Kandidaten Emmanuel Macron. Auch in den Niederlanden hatte sich der rechte Kandidat Geert Wilders nicht durchsetzen können. Die EU war gerettet.
In den Monaten danach kamen allerdings immer weniger Menschen. PoE schaffte es nicht, den Schwung bis zu den Bundestagswahlen beizubehalten. Bei den Kundgebungen im Sommer lag die Teilnehmerzahl nur noch bei mehreren hundert. Die letzte PoE-Demo im Jahr 2017 fand Ende November statt. Bei nasskaltem Herbstwetter versammelten sich 250 Demonstranten vor dem Hauptbahnhof.
Dass die Bewegung nach den Wahlen so schnell an Zulauf verlor, lag wohl auch an ihren diffusen Zielen. „Es fehlte eine Stoßrichtung, ein klarer Nenner“, erklärt Dieter Rucht. Forderungen nach „EU“, „Demokratie“ und „Frieden“ seien zwar sympathisch. Langfristig könne man damit aber kaum Unterstützer mobilisieren. „Im Grunde handelte es sich um harmlose Friede-Freude-Eierkuchen-Veranstaltungen mit viel Symbolik, aber keinen konkreten Forderungen und strategischen Überlegungen.“
Statt große Demos kleine Aktionen
PoE habe es außerdem nicht geschafft, auf politische Entscheidungsträger einzuwirken. „Diese empfanden keinen Druck, da sie zu nichts Konkretem gedrängt wurden.“ Man habe die Bewegung als diffuse Verstärkung für die EU verstanden, ohne selbst etwa tun zu müssen.
Auch wenn die meisten PoE-Sympathisanten nicht mehr auf die Straße gehen, der harte Kern ist weiter aktiv. Statt auf große Demos setzt man nun auf kleine Aktionen. Während der Sondierungsgespräche von CDU/CSU, FDP und Grünen versammelten sich etwa 30 Aktivisten unterm Balkon des Tagungsorts. Auf einer blauen Banderole prangten die Worte „Trau dich – Europa“. Auch am Tag der konstituierenden Sitzung des Bundestags demonstrierte eine kleine Gruppe vor dem Reichstag.
Für 2018 hat Wagenknecht bereits die Parlamentswahlen in Italien und die Entwicklungen in Osteuropa im Blick. Dass wie im Frühjahr wieder Tausende auf den Gendarmenmarkt strömen, sieht Dieter Rucht allerdings nicht. „PoE wird wahrscheinlich als Verein weiterbestehen, aber der Elan ist dahin.“
Richtigstellung: In der Printausgabe des Artikels vom 5. Januar 2018 hieß es, Silvan Wagenknecht sei der Pressesprecher von Pulse of Europe Berlin. Das ist nicht korrekt. Herr Wagenknecht ist, wie hier angegeben, der Initiator von Pulse of Europe Berlin.
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