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Was ist von einem Schwein anderes zu erwarten als ein Grunzen? Von Ralf Sotscheck

Die Nachricht, daß es im britischen Justizsystem von unfähigen und selbstherrlichen Greisen nur so wimmelt, ist nicht neu. Daß die Verantwortlichen aus den Skandalen um ihre Fehlurteile nichts gelernt haben, ist aber doch verblüffend. Vor fünf Jahren löste die Aufdeckung des Justizverbrechens an den „Guildford Four“, denen Polizei und Richter 1974 die Bombenanschläge auf zwei Kneipen in die Schuhe geschoben haben, eine Lawine von Freisprüchen aus. Auch die „Maguire Seven“ wurden rehabilitiert – eine konservative Familie, die nur deshalb jahrelang im Knast verbringen mußte, weil die Polizei aus einem der Guildford Four ein belastendes „Geständnis“ herausgeprügelt hatte. Der Fall ist durch Jim Sheridans Film „Im Namen des Vaters“ weltbekannt geworden.

Der frühere englische Oberrichter John May schrieb 1992 einen äußerst kritischen Bericht. „Ich bin zu der Überzeugung gelangt, daß die Maguire Seven die Opfer eines schweren Justizversagens geworden sind“, hieß es darin. May zerpflückte die forensischen Beweise und ließ keinen Zweifel daran, daß man die Familie zu Sündenböcken gemacht hatte, weil die wahren Täter nicht zu fassen waren.

Vor gut einer Woche ist ein neuer Bericht erschienen. Darin wird der Begriff „Justizversagen“ neu definiert, weil „im öffentlichen Verständnis eine simplistische Schlußfolgerung“ daraus gezogen werde, die „zu einengend“ sei. Mit anderen Worten: Die Leute sind so blöd und glauben, daß ein Justizversagen vorliege, wenn ein Unschuldiger jahrzehntelang im Knast sitzen muß. Doch weit gefehlt: Es kann sich auch dann um ein Justizversagen handeln, wenn ein Schuldiger jahrzehntelang einsitzen muß – nämlich dann, wenn „das Ergebnis eines Strafprozesses anders gelautet hätte, wenn ein bestimmtes Versagen des Justizsystems nicht aufgetreten wäre“. Hinter der verquasten Amtssprache verbirgt sich die Behauptung, daß man die Guildford Four wegen eines „Formfehlers“ freigelassen habe, was aber noch lange nicht bedeutet, daß sie unschuldig sind.

Man könnte den Bericht abtun – was ist von einem Schwein schon anderes zu erwarten als ein Grunzen? Der Autor des Berichts ist jedoch derselbe John May, der vor zwei Jahren noch ganz anders klang. Seine rasante Wende ist typisch für die gesamte britische Justiz. Hatten die Richter nach den Freisprüchen der Guildford Four, Maguire Seven, Birmingham Six, Broadwater Three und all der anderen, denen sie Morde angehängt hatten, noch einen kollektiven roten Kopf, so sind sie inzwischen längst wieder obenauf und zimmern an der Restaurierung ihrer Unfehlbarkeits-Aura. Niemand ist für die Justizskandale zur Rechenschaft gezogen worden. Und in Zukunft obliegen die Untersuchungen bei Verdacht auf Fehlurteile derselben Polizeieinheit, die auch die ursprünglichen Ermittlungen geleitet hat. Damit ist sichergestellt, daß kein Justizskandal mehr ans Licht kommt – John May und Komplizen sei Dank.

Der einzige Richter, der all die Jahre nicht von seinem Weg abwich, ist Lordrichter Denning: Der heute 92jährige wollte die Birmingham Six noch kurz vor ihrer Entlassung vor drei Jahren hängen, damit die rufschädigende Kampagne für ihre Rehabilitierung ein Ende habe. Ein konsequenter Mann, dieser Denning.

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