Was ist geblieben von der DDR?: „Vom Form- zum Nasshaarschnitt“
■ Renate Glombitza (55) schneidet im „Hairpoint Charlie“ Berliner Haare
Von dem Frisörladen „Hairpoint Charly“, den es schon vor der Teilung der Stadt gab, sind eigentlich nur noch die Grundmauern übrig geblieben. Ansonsten ist alles neu gemacht. Früher war das Geschäft in Abteilungen eingeteilt und wir hatten viel mehr Arbeitskräfte. Damals waren es 16 und jetzt sind es mit Lehrling und Chefin fünf.
Früher hatten wir auch mehr Kunden, es war preiswerter, und die Leute sind öfter gekommen. Der einfachste Schnitt hat 1,10 bis zu 1,70 Mark gekostet. Heute kommt der billigste Schnitt bei uns 16,50 Mark bzw. 18,50 Mark.
Früher haben wir Nasshaarschnitte in dem Sinne gar nicht gemacht. Wir haben Formhaarschnitte gemacht. Wir haben die Haare gewaschen und mit dem Rasiermesser die Haare ausgeschält. Jetzt macht man mit der Schere einen Scherennasshaarschnitt, wo die Haare stumpf geschnitten werden. Früher hat man sie ausgedünnt. Der Unterschied ist schon sichtbar. Man konnte jede Kopfform schön damit ausgleichen. Beim Rasiermesser hat man glatte Übergänge und die dicken Stellen werden ausgedünnt. Beim Scherenschnitt wirkt das bei dünnen Haaren fülliger. Bei dickem Haar ist das Messer besser. Und sonst haben wir Trockenhaarschnitte gemacht, Facon- oder Eckschnitt, je nach Bedarf. Wir haben langjährige Kunden, die heute noch den gleichen Schnitt wollen. Aber das mit dem Rasiermesser entscheidet heute der Frisör selber, da ist kein Wunsch mehr vorhanden. Heute ist der einzige Wunsch der Preis.
Die Kunden aus den alten Bundesländern, die hier herkommen, fragen oft, wie es früher hier aussah und wo die Mauer war. Die Kundschaft ist etwa halbe-halbe aus dem Osten und aus dem Westen. Wir haben Kunden, wenn die die Klinke in die Hand nehmen, dann wissen wir, wo sie herkommen. Es liegt am Auftreten, ich kann das nicht erklären, man sieht das einfach. Sie sind anders aufgewachsen. Ich will nicht sagen, dass wir Hemmungen haben, aber ein bisschen schon. Mir ist es egal, wo die Kunden herkommen, wenn sie mir entsprechend gegenübertreten. Kunden sind Kunden. Aber es gibt Leute, wo man sagt: „Um Gottes willen!“ Aufgezeichnet von Barbara Bollwahn de Paez Casanova
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