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INTERVIEWWas hat er denn getan?

■ Der „Fall“ Woody Allen macht den Mißbrauch des Mißbrauchs sichtbar und könnte zu einer Wende in der Diskussion führen, sagt Katharina Rutschky

Katharina Rutschky, Jahrgang 1941, Autorin, lebt in Berlin. Von ihr erschienen, unter anderem, die „Deutsche Schul-Chronik, Lernen und Erziehen in vier Jahrhunderten“ (Kiepenheuer und Witsch, 1987), „Der Steglitzer Schülermord. Ein Gesellschaftsskandal der Weimarer Republik“ (Wagenbach 1990).

taz: Frau Rutschky, in Ihrem jüngst erschienenen Buch: „Erregte Aufklärung“ über Kindesmißbrauch1 haben Sie die öffentliche Diskussion über sexuellen Mißbrauch als wahnbildende Maßnahme der Massenmedien dargestellt. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Erregung über Woody Allen als Kinderschänder?

Katharina Rutschky: So stimmt das nicht ganz. Meine Hypothese ist, daß das Thema auf einem sehr langen Weg über die Entwicklung der sozialen Dienste und mit Hilfe der wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit deren theoretischer Ausstaffierung beschäftigen, erst spät in die Medien gekommen ist. Zuerst in den USA und dann mit der üblichen Verzögerung auch bei uns. Ich bin nicht der Meinung, daß man im Fall Woody Allen von einer Medienhetze sprechen kann. Ebensowenig wie man angesichts der übertriebenen und falschen öffentlichen Aufbereitung des Themas in eine Medienschelte ausbrechen sollte. Die Hypothese über die massenhafte und regelmäßige Verbreitung dieses Delikts ist nicht in den Massenmedien erfunden worden, sondern in der Wissenschaft.

Aber nur wenige andere Entdeckungen der Wissenschaft sind so leidenschaftlich von den Medien hochgeputscht worden.

An der Bild-Zeitungs-Kampagne der Studentenbewegung habe ich begriffen, daß es keinen Sinn macht, solche Zeitungen als große Manipulatoren zu denunzieren, sie greifen immer nur auf, was ohnehin in der Bevölkerung vorhanden ist.

Nun ist Woody Allen der Bevölkerung an sich einigermaßen egal. Sind diesmal womöglich die Cineasten die „Betroffenen“?

Ich freue mich, daß die Cineasten betroffen sind, weil sie zu den Kulturschaffenden und -rezipienten gehören, die sich selten dieser schmuddeligen Gesellschaftsfragen annehmen. Man interessiert sich für Kunst, Ästhetik etc. Die Schule, die Pädagogik sowie die Beaufsichtigung dieser wichtigen Institutionen überläßt man aber denen, die dort auch arbeiten. Das führt zu einem Zirkelsystem, das zur Selbstkritik und Selbsterneuerung unfähig ist. Wenn jetzt Woody Allen von einer Geschichte betroffen wird, die bislang nur Unbekannte beschäftigt hat — Väter, Mütter, Pfarrer, Therapeuten — dann verbinde ich damit die Hoffnung, daß der Mißbrauch des Mißbrauchs irgendwann ein Ende hat.

Geht es jetzt nicht erst recht los?

Mir scheint vielmehr, daß zum Beispiel die Spiegel-Redaktion auf die Woody-Allen-Affaire Indiz für eine Wende ist. Bisher hat das Magazin nicht in dieser Weise über jenen Gesellschaftswahn berichtet. Man kehrt offenbar auf den Boden der Tatsachen zurück und kann in Zukunft nicht ohne weiteres die immer gleichen immensen Mißbrauchs-Opferzahlen und falschen Behauptungen verbreiten.

Hat die Samtpfotigkeit des „Spiegels“ nicht eher damit zu tun, daß es einem Liebling der Götter an den Kragen geht?

Die Lieblinge der Götter haben geradezu die Aufgabe voranzugehen. Dagegen habe ich nichts. Es ist immer so, daß sich am spektakulären Fall eine Wende kristallisiert.

Glauben Sie wirklich, daß der spektakuläre Fall in seiner mäßigenden Wirkung auf die Durchschnittsbetroffenen übertragbar ist, die bislang keine Anteilnahme erhalten? Ich vermute eher, daß Allen als Einzelperson mit einem Beliebtheitsbonus rechnen kann, weil man keinen Fleck an seiner hübschen Weste wünscht.

Das ist mir zu konstruiert und widerspricht auch der Reaktion, die ich auf mein Buch erfahren habe. Da gab es ein Aufseufzen der Erleichterung, daß endlich mal jemand sagt, was man sich irgendwie gedacht, aber nicht zu sagen getraut hat. Oder mit Woody Allen: Was Sie schon immer über Mißbrauch wissen wollten, aber nie zu fragen wagten. Durch die dauernden Horrormeldungen in der Presse ist eine ungeheure Verunsicherung entstanden: Die Realitätserfahrung der meisten Menschen entspricht dem nicht; die meisten Menschen verabscheuen dieses Verbrechen, das sie häufig vorher gar nicht kannten. Und nun geraten sie in eine Zwickmühle, wenn sie lesen, es kommt massenhaft vor. Man kann sich dem autoritären Gestus nicht entziehen, zumal Kinder in unserer Kultur im doppelten Sinne das teuerste Gut sind.

Ist Woody Allen nicht nur Wasser auf diese Panik-Mühlen?

Eben gerade nicht! Natürlich stürzt man sich mit riesengroßem Interesse auf ihn, weil er eine berühmte Person ist. Ich hoffe aber, sein Fall wird eine ähnliche Funktion haben wie mein Buch: Er wird Erleichterung bringen. Es wird evident werden, daß eine Beziehung wie die von Allen zu Mia Farrows 21jähriger Adoptivtochter nicht so irrsinnig ungewöhnlich ist. Man kann da nicht mehr von sexuellem Mißbrauch sprechen. Allen selber hat ja das Thema schon vor langer Zeit in „Manhattan“ verhandelt. Liebe findet nicht nach den Vorstellungen statt, die elfjährige Mädchen ins Poesiealbum schreiben.

Nun soll Allen aber seine siebenjährige Ziehtochter Dylan mißbraucht haben. Und es existiert sogar ein Video über die Befragung des Kindes.

Mia Farrow hat diese zweite Geschichte nachgeschoben, als sie seine Liebesgeschichte mit der Pflegetochter entdeckte, und sie hat selber das Kind befragt. Wir wissen nicht, was es gesagt hat. Ganz zu schweigen davon, daß es schon als blasphemischer Akt gilt zu fragen: Was hat er denn getan?

Wie paßt der anstehende Prozeß zu der aufgeklärten Beziehung des berühmten Film- und Lebenspaars?

Woody Allen ist in der Tat in jeder Hinsicht ein moderner Mann, kein Macho. Beider Verhältnis war modern, sie waren nicht verheiratet, sie haben getrennt gewohnt, sie haben zusammen sehr viel gearbeitet, sie haben gemeinsam ihr privates Kinderheim betreut. All das hat Allen immer wieder in seinen Filmen auf kluge und witzige Weise reflektiert. Nun sind sie gescheitert, und das wird geahndet.

Ist Mia Farrow keine moderne Frau?

Sie reagiert psychologisch verständlich, aber sie reagiert klassisch. Sie sagt zu Recht: Es ist schrecklich, auf diese Weise einen Liebhaber und ein Kind zu verlieren, aber sie rächt sich. Angeblich soll die Kampagne dem Schutz der Kinder dienen. Was jetzt inszeniert wird, spricht dem Hohn und hat vielmehr mit Rache, Kränkung, Verlassenwerden zu tun, mit Kindeswohl aber absolut gar nichts.

Bestätigt dieser Fall nicht leider hinterrücks die alten Geschlechtervorurteile: Der Mann hat die Sympathie — meine übrigens auch —, die Frau aber benutzt nach ihrem Beziehungsdesaster infamerweise für den Prozeß die allerneueste und wirksamste Munition. Da fällt alle Verachtung auf sie.

Das weiß ich noch nicht. Ich kenne kluge Frauen, die jene Geschichte mit der Siebenjährigen und dem Video zwar für unsinnig und gefährlich halten, die aber dann zu Soon-Yi sagen: alter Mann und junges Mädchen — im Grunde sei das doch auch Mißbrauch. Es habe sich doch auch um ein Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis gehandelt.

Die alte Opferleidensgeschichte also?

Mia Farrow hat als Schauspielerin selber so etwas Knochenloses, in manchen ihrer Rollen demütigt sie sich auf eine geradezu masochistische Weise. Da hält die Moderne für uns Frauen durchaus noch Entwicklungsaufgaben bereit. Bei uns in Deutschland wird die Mißbrauch- Kampagne ja wesentlich von Frauen getragen. Es wäre an der Zeit, sich kritisch und selbstkritisch zu verhalten und zu fragen: Wie kommt es zu derart falschen Kodierungen des Problems? Interview: Christel Dormagen

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