■ Was die Polizei auch tut, es wird garantiert falsch sein: Zwischen Chaos und Castor
Dem Aufruf zu den Chaos-Tagen in Hannover am vergangenen Wochenende waren rund 800 Punks gefolgt. Laut Polizei wurden etwa 600 Punks festgenommen. Selbst von der niedersächsischen CDU und der nicht gerade SPD-freundlichen Hannoverschen Allgemeinen Zeitung wurde dieser harte Einsatz gelobt. Doch Bonn war das nicht genug. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion, Johannes Gerster, warf der Polizei vor, „die Randalierer nicht am Betreten der Stadt gehindert“, das heißt: nicht das Grundgesetz gebrochen zu haben. Gerster hat sowohl nach Rostock als auch nach Magdeburg geschwiegen. Doch er und seine politischen Freunde haben offenbar jetzt den Stein der Weisen entdeckt, mit dem sie zwar Verbrechen und Randale nicht bewältigen, aber in jedem Fall eine neue „Volksfront“ dafür verantwortlich machen können.
Gersters Vorstoß läßt das Beharren von Bundesumweltminister Klaus Töpfer in Sachen des Transports der radioaktiven Castor-Behälter nach Gorleben in neuem Licht erscheinen. Seit mehr als zwei Jahren wurde dieser Transport immer wieder verschoben, ohne daß Töpfer dem Land Niedersachsen die Daumenschrauben anlegte. Jetzt soll alles ohne weiteren zeitlichen Spielraum mit juristischen Mitteln erzwungen werden. Töpfer weiß, auf welchen Widerstand diese Transporte im Raum Gorleben stoßen; er weiß auch, daß man die Polizei verheizt, wenn man die Aktion in der Sommer- und Ferienzeit durchführt. Das ergibt für manchen einen kostenlosen „Abenteuerurlaub“. Ein CDU-Abgeordneter mit Polizeierfahrung: „Das macht man doch im Winter bei 15 Grad Kälte!“ Wenn die Rechnung der Bonner CDU aufgeht, wird im September der erste Castor-Behälter anrollen. Jeder kann sich ausmalen, wie die Fernsehbilder dann aussehen. Was die Polizei auch machen wird, es wird immer falsch sein. Den einen wird sie zu hart durchgreifen, für die anderen läßt sie sich bestimmen durch die zu „schlappe“ Deeskalationsstrategie.
Bösartig ist, wer dabei an den Wahlkampf denkt oder daran, daß gerade zu diesem Zeitpunkt der Vermittlungsausschuß einen Kompromiß über das sogenannte „Verbrechensbekämpfungsgesetz“ berät, das die SPD-Länder im Bundesrat vorerst scheitern ließen... Jürgen Seifert
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