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Was defekte Schlösser und korrupte Banker verbindetSoft skills, hard skills

Zu Hause bei Fremden

von Miguel Szymanski

Dieses Wochenende versuchte ich die Haupt­eingangstür des Wohnhauses unserer Ferienwohnung an der Costa da Caparica, einem 30 Kilometer langen Sandstrand südlich von Lissabon, aufzuschließen. Ich drehte den Schlüssel nach links und nach rechts, spürte mechanische Widerstände und Freiräume – doch die Tür ging nicht auf. Meine deutsche Hirnhälfte hatte drei Erklärungen parat: Entweder war das Schloss kaputt. Oder der Schlüssel war nicht in Ordnung. Oder eine Kombination von beidem.

Eine portugiesische Nachbarin, die auch ins Haus wollte, stand schon eine Weile hinter mir. „Kaputt“, sagte ich. Und ergänzte verärgert: „Funktioniert denn nichts in diesem Land?“ Sie schaute mich lange an und sagte, man müsse das Schloss eben zu nehmen wissen – „com jeitinho“. Das ist eine portugiesische Redewendung, die in etwa bedeutet, dass man sich mit ein bisschen Einfühlungsvermögen jeder noch so problematischen Situation anpassen kann.

Die Frau schob mich freundlich beiseite, nahm den Schlüssel in die Hand und rührte sanft das Innenleben des Schlosses. Die Tür öffnete sich mit einem gurrenden Klick. Keine Frage: Das Schloss ist defekt, aber mit „jeitinho“ wird es sicher noch viele Jahre seinen Dienst tun.

Die letzten Tage in Lissabon habe ich mit Recherchen für die Wirtschaftssendung eines öffentlich-rechtlichen deutschen Senders verbracht. Gefilmt wird bis Mittwoch dieser Woche. Ich staune immer wieder über die kulturellen Kommunikationspannen. Die deutschen Redakteure verstehen nicht, dass ein Interview im Drehplan „gegen 10 Uhr“ stattfinden soll. Und dass der Interviewpartner, ein renommierter portugiesischer Ökonom, erst am Tag des Drehs bei den Journalisten anrufen und sagen wird, wo genau wir ihn filmen können. Die Reportage im August machen zu wollen zeigt schon die Unkenntnis über die portugiesische Realität.

Hier gibt es ein einziges relevantes Entscheidungszentrum, und das ist Lissabon. Nur: Im August sind alle Portugiesen, die etwas zu sagen haben und nicht Notoperationen durchführen müssen oder hinter Gittern sind, an den Stränden.

Drehwünsche, etwa über den Alltag an Sprachschulen, in denen junge Portugiesen Deutsch lernen, um später auszuwandern, sind geschlossen. Sogar die Schwestern des Cluny-Ordens, die im alten Gebäude des Ordens in der Innenstadt Frühstückspakete austeilen, schließen die Pforten.

Mit „jeitinho“ haben die Portugiesen auch die Krisenrealität verdaut, die keinen schont. Ricardo Espírito Santo Salgado, bis vor wenigen Monaten der Kopf einer der mächtigsten fünf Familien des Landes, hat seine Bank gegen die Wand gefahren. Ersparnisse vieler Kunden sollen illegal in Risikofonds investiert worden sein. Jetzt sitzt der ehemals allmächtige Bankchef, den der Volksmund den „Dono disto Tudo“, den „Besitzer von allem“, nannte, hinter (einem halb defekten) Schloss und Riegel: in seiner Milliardärsvilla mit einem elektronischen Armband.

Spannend würde es, wenn der Banker den Mund öffnete. Dann könnte die Welt etwa erfahren, welche Regierungsmitglieder die Millionen Schmiergelder für die Waffengeschäfte mit deutschen Unternehmen bekommen haben. Doch das will erstaunlicherweise kein deutscher Fernsehsender recherchiert haben.

Wenn der ehemals allmächtige Banker zumindest noch seine eigenen Risiken abschätzen kann, weiß er, dass er das – trotz der sprichwörtlichen Selbsteinschätzung Portugals als „Land der sanften Sitten“ – nicht überleben würde. Keine amtierende Regierung, wie korrupt auch immer, erlaubt einem ehemaligen Strippenzieher, sie fallen zu lassen.

Eher wird vorher der eigenmächtig handelnde Justizapparat gestutzt. Oder der Banker erleidet zufällig einen Unfall und fällt in den Mund der Hölle, genauer gesagt in die Boca do Infernoi, wie die Grotte an der atlantischen Felsenküste heißt, in deren Nähe übrigens der in Un­gnade gefallene Banker mit dem schönen Nachnamen Heiliger Geist residiert.

Eines jedenfalls scheint sicher: Für ihn muss Petrus seine Schlüssel wohl nicht bemühen.

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