Was Klaus Ernst von Vendola lernen kann: Wahlkampfhilfe vom Italiener
In Kreuzberg suchten Klaus Ernst und Nichi Vendola, Präsident der süditalienischen Region Apulien, linke Antworten auf die Krise. Fazit: Die Italiener sind weiter.
![](https://taz.de/picture/251393/14/nichi.jpg)
Das von Erich Mendelsohn 1929 entworfene Haus des deutschen Metallarbeiterverbandes, heute im Besitz der IG Metall, ist ein Klassiker der Moderne: Klar, licht, elegant - und zumindest im Obergeschoss so unerträglich heiß und stickig wie der Urahn aller Avantgardearchitektur, das Bauhaus in Dessau. Im Mendelsohn-Bau treffen sich Anspruch und Wirklichkeit dessen, was links, was revolutionär hieß, was die Armen nicht aus dem Blick verlieren will, ja ihnen zu Glanzzeiten sogar die Aufgabe der Welterlösung zutraute.
Ein wirklich guter Ort also für die Begegnung zweier linker Personen, Parteien und Kulturen, für die Analyse von Anspruch und Wirklichkeit linker Lösungsvorschläge in Zeiten der globalen Krise. Am Sonntagabend trafen hier aufeinander Klaus Ernst, Parteichef der Linken und Nichi Vendola, Präsident der süditalienischen Region Apulien, Vorsitzender des Parteienbündnisses Sinistra, Ecologia, Libertà (Linke, Ökologie, Freiheit, SEL). Aber Vendola (geb. 1958) ist mehr; ist studierter Philosoph, bekennender Schwuler und Katholik und saß im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Italiens.
Vendola ist ein entzückend lispelnder Abräumer, ein Politstar, dessen Charme und Natürlichkeit man sich nur schwer entziehen kann. Und last not least wurde Vendola kürzlich wiedergewählt, was Klaus Ernst besonders betonte: Von Vendola lernen, heiße, aus der Regierung heraus noch Stimmen dazuzugewinnen - ach ja: In Berlin wird am 18. September gewählt.
Er kommt aus dem Reich des Bösen
Das eigentliche Thema des Abends war aber: "Menschen vor Profite - deutsch-italienische Vorschläge gegen die Krise". Während Klaus Ernst wahlkampforientiert konkret blieb, die Krise auf das deutsche Lohndumping zurückführte ("Nicht die Griechen haben über ihre Verhältnisse gelebt, sondern wir unter unseren Verhältnissen"), holte Vendola weiter aus. Er beschreibt die Gegenwart, wie schon in seinem gerade erschienen Buch "Es gibt ein besseres Italien", als völlig neue Epoche, wo nach der die letzten Jahrzehnte dominierenden großen Erzählung der "Neoliberalen Revolution" nun die Wiederaneignung der Gemeingüter auf dem Plan stehe - ganz wie der Historiker Alberto Bevilacqua es kürzlich in der taz dargestellt hat.
Vendola kommt spürbar aus dem Berlusconi-Reich des Bösen. Er hat mehr und tiefer nachdenken müssen über neue Perspektiven, hat, wie er es sagte, die Rechten besiegt, indem er erst mal die alten Linken schlug - sowohl die ewigen Taktierer und Zentristen als auch diejenigen, die keine politische Bewegung, sondern eine Kirche für ihre erschütterten Gewissheiten suchen. Aus dieser Erfahrung kam von ihm der Satz des Abends, der in einer Atmosphäre allgemeinen Liebhabens aber dann nicht aufgegriffen wurde: Die Linke solle sich nicht damit beschäftigen, die eigenen Biografien zu verteidigen, sondern die Zukunft gestalten. Das traut man Vendola zu; aber der Abend, in dem die Aporien zwischen Prekarität und durchaus nicht nur von Kapitalistenseite ersehnter Flexibilität zumindest anklangen, war dann leider schon um 21.30 Uhr zu Ende: Deutsche Gewerkschaftler wollen pünktlich nach Hause.
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