: Warum wütet Bruno Kreisky gegen die SPÖ ?
■ Die Sozialistische Partei Österreichs hat mit der großen Koalition die Wende vollzogen / Leopold Spira, Chefredakteur der Monatszeitschrift Wiener Tagebuch, analysiert in einem Beitrag für die taz die Geschichte der SPÖ als die einer Schönwetterpartei, die in der Wirtschaftskrise verzagt und versagt
Aus Wien Leopold Spira
In Wien sagt man, nur ein „gelernter Österreicher“ könne sich in der Politik des Landes zurechtfinden. Und auch der hat es nicht immer leicht. Seit Alt–Bundeskanzler Bruno Kreisky im Januar aus Protest gegen die neue SPÖ–Politik seine Parteiämter abgegeben und sich in der Wochenzeitung Profil heftig gegen seine Partei ausgelassen hat, ist es noch schwieriger, sich in der österreichischen Politik zurechtzufinden. Denn trotz der bissigen Angriffe hat die SPÖ kaum reagiert - und schon gar nicht ist sie dadurch in eine tiefe Krise geraten. Was ist in Österreich los? Nach dreizehn Jahren Alleinherrschaft und drei Jahren kleiner Koalition mit einer schwachen Freiheitlichen Partei (FPÖ) ist die SPÖ seit der Wahl im vergangenen November gezwungen, mit der nur drei Mandate schwächeren Österreichischen Volkspartei (ÖVP) eine Koalition zu bilden. Gegen die Gefahr, daß sie im Schlepptau der Regierung noch mehr sozialdemokratische Substanz verliert als in den letzten Jahren schon, hat Kreisky nun öffentlich protestiert, wenn dabei auch viel persönliche Verärgerung zu spüren war. Die Reaktion inner– und außerhalb der SPÖ schaut so aus, daß man sagt: Er war ein großer Politiker, jetzt ist er halt alt und verärgert. Die Linken in der SPÖ fühlen sich von seinem Protest gegen die Große Koalition zwar angesprochen, aber sie bestimmen nicht das Profil der Partei. Große Koalition und Filz Die Veränderung, die Kreisky kritisiert, ist auch eine Reaktion auf das von ihm hinterlassene Erbe. Nach dem Krieg war die SPÖ zwanzig Jahre lang Juniorpartner in einer Koalition mit der ÖVP. Bis zum Staatsvertrag 1955, dem Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen und der Erklärung der „immerwährenden Neutralität“ war das eine Art Notgemeinschaft. Durch ein hohes Maß an Verstaatlichung (Schwerindustrie und Großbanken) hatte die Sozialdemokratie stets einen recht starken Einfluß auf die Wirtschaft. Im Rahmen der in Österreich tatsächlich praktizierten „Sozialpartnerschaft“ werden alle wesentlichen Entscheidungen von der Gewerkschaftsführung und den Industriellen gemeinsam ausgehandelt. Die Streikdauer pro Beschäftigtem und Jahr wird in Sekunden gemessen. Die große Koalition verfilzte jedoch immer mehr. 1966 errang dann die ÖVP die absolute Mehrheit. Hochzeit der SPÖ In diesem Moment der Krise übernahm Kreisky die Führung der SPÖ, und binnen kurzem wendete sich das Blatt. Als er 1970 Bundes kanzler wurde, herrschte in der Wirtschaft Hochkonjunktur und die Entspannungspolitik schien die Welt zu verändern. Die SPÖ– Regierung setzte eine Reihe von Reformen durch, das Land wurde modernisiert und bewegte sich, wie es in der SPÖ– Propaganda hieß, „auf der Überholspur“. Es entstand die außenpolitische Achse Willy Brandt - Bruno Kreisky - Olof Palme, der Versuch, zwischen den Blöcken eine eigene Linie zu verfolgen. In diesem Klima gelang es der SPÖ dreimal hintereinander, die absolute Mehrheit zu erringen. Als Mitte der siebziger Jahre die wirtschaftliche Krise fühlbar wurde, entwickelte Kreisky eine sozialdemokratische Antwort: Lieber ein paar Milliarden mehr Staatsschulden als ein paar Tausend Arbeitslose zusätzlich. Nicht zuletzt durch immer höhere Zuschüsse für die Schwerindustrie konnte Österreich die Arbeitslosenrate bis vor kurzem unter fünf Prozent halten. Aber die Krise dauerte länger als erwartet. 1983 verfehlte die SPÖ mit 48 Prozent die absolute Mehrheit. Kreisky lehnte es ab, einer Koalitionsregierung vorzustehen und zog sich zurück, nachdem er eine kleine Koalition mit der Freiheitlichen Partei FPÖ unter Dach und Fach gebracht hatte. Die FPÖ war als Partei ehemaliger Nazis entstanden. Seit jeher hat sie einen nationalen (sprich: deutschnationalen) und einen eher liberalen Flügel. Zu Beginn der achtziger Jahre hatte der liberale Flügel die Führung übernommen, das machte eine Koalition mit der SPÖ möglich. In Österreich waren die Linksparteien nicht erst 1938 von den Nazis zerschlagen worden, sondern schon vier Jahre vor her von dem einheimischen christlich–autoritären Regime. Deshalb haben viele Sozialdemokraten aus der Generation Kreiskys (und er selbst sehr ausgeprägt) noch heute viel stärkere Emotionen gegen die „Schwarzen“ als gegen die „Braunen“. Kleine Schritte abwärts Bundeskanzler wurde nach Kreisky der Burgenländer Fred Sinowatz. Er band alle besseren Köpfe der SPÖ in die Regierung ein, die Partei selbst dorrte aus. Eine ununterbrochene Kette von Skandalen belastete Regierung und SPÖ. Als schließlich beim Stahlkonzern der Voest, dem Flaggschiff der verstaatlichten Industrie, die Krise ausbrach, wurden die Privatisierungspläne der ÖVP glaubhaft, und die SPÖ verlor bei der Arbeiterschaft den Ruf der wirtschaftspolitischen Kompetenz. In dieser Atmosphäre fand im vorigen Frühjahr die Wahl des Bundespräsidenten statt. Die 54 Prozent, die der Kandidat der ÖVP, Kurt Waldheim, dabei erreichte, bestärkten die ÖVP in der Hoffnung auf eine Wende. Da trat Fred Sinowatz als Bundeskanzler, jedoch nicht als Parteiobmann, zurück. An seine Stelle trat der bisherige Finanzminister Franz Vranitzky, vorher Generaldirektor einer der verstaatlichten Großbanken. Das Signal lautete: Die Ära Kreisky ist zu Ende. Die kleine Koalition mit der abgenützten FPÖ, die bei allen lokalen Wahlen Federn lassen mußte, reichte als Basis für das Sanierungskonzept jedoch nicht aus. Da trat als deus ex machina im Herbst vorigen Jahres ein Ereignis ein, das die Situation mit einem Schlag veränderte. Auf dem Parteitag der FPÖ wurde der bisherige „libe rale“ Obmann, Vizekanzler Norbert Steger, von dem jungen „Nationalen“ Jörg Haider gestürzt. War eine FPÖ mit liberalem Anstrich für die SPÖ als Koalitionspartner noch tragbar gewesen, so bot die Aufwertung des nationalen Flügels eine günstige Gelegenheit, Neuwahlen auszuschreiben. Damit entstand die Möglichkeit, eine große Koalition anzusteuern, was dem Wunsch der Industriellen und der Gewerkschaftsführung entsprach. Auf dem Weg zu neuen Mehrheiten Bei den Wahlen am 23. November wurden die Karten neu gemischt. Die SPÖ behielt mit 43 Mandate einbüßte. die ÖVP mußte ihre hochfliegenden Pläne begraben. Sie hatte nach bundesdeutschem Vorbild die „Wende“ proklamiert und verlor doch Stimmen und Mandate. Haider errang mit zehn Prozent der Stimmen fast zweimal so viel wie bei der vorigen Wahl, die Grünen erreichten mit knapp fünf Prozent den Einzug ins Parlament. Eine Koalition SPÖ– FPÖ war politisch nicht mehr möglich, eine Koalition SPÖ– Grüne hätte keine Mehrheit gehabt. In der ÖVP gab es starke Tendenzen, einen „Bürgerblock“ mit der FPÖ zu bilden, das hätte aber außenpolitische Schwierigkeiten bringen und die innenpolitische Lage verschärfen können. Es blieb also nur die große Koalition. Die Koalitionsverhandlungen dauerten einige Wochen. ÖVP– Obmann Alois Mock wurde für das schlechte Abschneiden seiner Partei verantwortlich gemacht und innerparteilich scharf attackiert. Da nun aber die Verhandlungen schon geführt wurden, verzichtete seine Partei darauf, ihn auszuwechseln, und die SPÖ half mit, den angeschlagenen Mock wieder aufzurichten und damit die gewünschte Koalition zu festigen. Man billigte der ÖVP, obwohl sie weniger Mandate hat, die gleiche Anzahl an Ministern zu und erfüllte den Herzenswunsch des ÖVP–Obmanns - er wurde Außenminister. Damit ist die weltpolitische Position zerschlagen, die Kreisky jahrzehntelang - er war auch lange Zeit Außenminister der ersten großen Koalition - aufgebaut hatte, und das war der eigentliche Anlaß für seine Kritik. Eine Epoche ist zu Ende. Die wirtschafts–, sozial– und außenpolitischen Reformen werden nicht fortgesetzt und zum Teil zurückgenommen. Kreisky empfindet das als persönlichen Affront und reagiert entsprechend. Aber der sozialdemokratische Riesendampfer ist in Fahrt gekommen, und niemand, auch keiner der Zweifler in der SPÖ selbst, hat zur Zeit die Kraft, ihn aufzuhalten oder seinen Kurs zu ändern. Im Organ der Industrievereinigung (“Industrie“) konnte man über das Programm der Koalition lesen: „Alte und neue Forderungen der Industrie, gesellschaftspolitische Hinweise aus programmatischen Erklärungen der Industriellenvereinigung und jahrelanger Öffentlichkeitsarbeit des unternehmerischen Lagers finden endlich entsprechendes Echo.“ Auch in Österreich kam und kommt die innere Problematik der Sozialdemokratie deutlich zum Ausdruck: Sie leistete und leistet gar nicht wenig, solange das Wetter gut ist. Aber sie verzagt und versagt, sobald es stürmisch wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen