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■ Warum wir eine neue Bürgerrechtsbewegung brauchenWahre und falsche Linke

Nein, das stiften nicht die Dichter und sollte auch nicht nur Angelegenheit einer konservativen Tageszeitung gewesen sein. Dies im Sinn, taten sich einige Unentwegte zusammen, um an diesem Wochenende in Frankfurt ein „2. Bürgerforum Paulskirche“ abzuhalten. Themen und Personen sind dieselben wie vor einem Jahr beim „1. Bürgerforum“. Es diskutieren unter vielen anderen: Jürgen Seifert, Ilse Staff und Horst Eberhard Richter. Die Themen: Militarisierung, Asyl, Nationalismus, die Unterminierung des Rechts- durch den Überwachungsstaat, die Zerstörung der Umwelt und – überhaupt – die soziale Demontage.

Wer jetzt gähnt und nicht weiterlesen will, folgt einem verständlichen Reflex, aber auch nur dem. Denn die Frage, ob eine demokratische Linke, die diesen Namen verdient, in Zukunft die Chance hat, Optionen für die politische Entwicklung dieser Gesellschaft zu artikulieren, müßte allen auf den Nägeln brennen, die auch nur ein wenig mehr erstreben als die Verwaltung des Status quo.

Nicht nur der von jeder echten Auseinandersetzung aseptisch freie Bundestagswahlkampf belegt es: Die gesellschaftliche Entwicklung scheint derzeit Herbert Marcuse mit seiner These vom Menschen, der glücklichen Bewußtseins ins Gehäuse einer eindimensionalen Gesellschaft eingesperrt ist, einmal mehr recht zu geben. Allem Gerede von den ungeheuren Herausforderungen der Zeit nach 1989 zum Trotz triumphieren Alltag, Routine und Gewohnheit. Konservativismus ist zum Signum von Regierung wie Opposition geworden.

Der Unbeweglichkeit der Regierung entspricht die Schlappheit der parlamentarischen Opposition. Daß dem so ist, liegt auch, nicht nur, am Fehlen einer halbwegs lebendigen Öffentlichkeit. Zwischen sozialen Mißständen und zur Reform bereiten Parteien gehören nun einmal öffentlich artikulierte Alternativen, heftige Debatten und hellsichtige, hoffentlich nicht konstruktive Formen der Kritik. Dabei handelt es sich um deutsche Zustände: Woher soll ein oppositionelles Milieu, das aus „Realpolitikern“, „Wertkonservativen“ und „Querdenkern“ besteht, schon die kritischen Begriffe nehmen, die doch unerläßliche Voraussetzung jeder entschiedenen Reformpolitik sind?

Die „Realpolitiker“ gehören, soweit sie „grün“ sind, schon so sehr zur Innenausstattung der Republik, daß sie trotz solider Reformpolitik Gefahr laufen, ein weiteres Mal nicht in den Bundestag gewählt zu werden. Bei mäßigen Erfolgen in der landes- und kommunalpolitischen „Verantwortung“ verschlissen, vermögen sie eine progressive Politik zwar zu betreiben, aber immer schwerer glaubhaft zu verkörpern.

Von ihnen gehätschelt werden nicht etwa scharfe Analytiker und Kritiker, sondern die „Wertkonservativen“. Die Angehörigen dieser Spezies, die es nur hier gibt – anderswo nennen sich Konservative „konservativ“ und sind gar stolz darauf –, entpuppen sich in aller Regel als ganz normale Umweltpolitiker, die über die Privatisierung der Müllabfuhr oder die Tugenden des Schilfrohrs nachdenken. Ihnen folgt zuletzt eine weitere Ausgeburt des geistigen Krähwinkels, die „Querdenker“, ein Begriff, der die Provinzialität deutscher Zustände daran kenntlich macht, daß jedem halbwegs leserlichen Beitrag eines Eigenbrötlers schon die Weihen eines „Gedankens“ verliehen werden.

Während in Frankreich sogar die Poststrukturalisten wieder Marx diskutieren und in Italien die Linke sich nach dem Schock Berlusconi bewußt als „Linke“ neu zu entwerfen trachtet, ist man im hiesigen Biotop noch immer bemüht, die Untauglichkeit der Begriffe „links“ und „rechts“ zu erweisen. Indessen: Das – ganz normale – Volk hat die gar nicht so schweißtreibenden Anstrengungen der wertdenkenden Querkonservativen, die Koordinaten von „rechts“ und „links“ aufzugeben, im Echo der Demoskopie undankbar zurückgewiesen.

Zugleich steht ein Fall politischer Erbschleicherei ins Haus. Kalauernd, bienenemsig und auf einem soliden Sockel populistischen Ressentiments ruhend, machen sich die PDS und ihre Sprecher daran, die westdeutsche Nachkriegslinke – von der SPD über die Neue Linke, den neuen sozialen Bewegungen und den Grünen – zu ersetzen: ihre Begriffe zu beleihen, ihre Lebensformen zu assimilieren und ihren Platz in Öffentlichkeit und Parlamenten zu übernehmen. Wer Programme und Strategien dieser Partei betrachtet, wird wie in einem Spiegel die zur Verwechslung ähnliche Karikatur des eigenen politischen Antlitzes erblicken. Daß es sich dabei um ein Zerr- und nicht um ein Abbild handelt, wird deutlich, wenn man die ungebrochenen Bekenntnisse zu den Bolschewiki und die eher an den Ständestaat als an republikanische Traditionen erinnernden Verfassungsentwürfe der PDS studiert.

Der Einwand, daß hier aus Schwäche ein neues Feindbild entworfen wird, liegt auf der Hand. Gleichwohl: Wenn es zutrifft, daß aller Rede von epochalen Brüchen zum Trotz die politische Orientierung in modernen, parlamentarisch verfaßten und kapitalistisch organisierten Gesellschaften nach wie vor im Koordinationssystem von „links“ nach „rechts“ am besten beschrieben werden kann, ist es unumgänglich, sich über Sinn und Gehalt des Begriffs „links“ zu verständigen. Derlei Verständigungsprozesse bedürfen der unmittelbaren Debatte zwischen Menschen, sie vertragen weder den immer gleichgültigeren Zirkus der ohnehin ausgeleierten Talkshows noch ausschließlich über die Presse geführte Kontroversen.

Was hat eine pluralistische, in vielfältige Parteien, Netzwerke, Gruppen und Individuen differenzierte demokratische Linke einer Gesellschaft anzubieten, die, vor der europäischen Integration stehend, zugleich in einer Welt existiert, in der Mord, Totschlag und Hunger zum beinahe langweiligen Alltag geworden sind; einer Gesellschaft, in der allen Schalmeienklängen zum Trotz Armut immer noch zunimmt und die Selbstverständlichkeiten einer zivilen Kultur unter Druck geraten?

Derzeit ist die Lage undramatisch, aber trostlos. Gelingt es jedoch mittelfristig nicht, das Projekt einer historisch belehrten, demokratischen Linken zu rekonstruieren, so könnten ihre Überbleibsel als Fußnote zu einem Treppenwitz der Weltgeschichte enden. Wenn denn schließlich eine Partei, deren Mitglieder zu neunzig Prozent loyal und konstruktiv in einer realsozialistischen Diktatur mitarbeiteten, das Erbe der Linken angetreten hat, wird man auf die Frage „What's left?“ getrost antworten dürfen: „Forget about it.“

Dies zu verhindern ist das jetzt stattfindende „Bürgerforum Paulskirche“ ein Schritt. Micha Brumlik

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