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Archiv-Artikel

Warum soll man auch rausgehen

Durch Filme wie „Stau“ und „Neustadt“, Dokumentationen des rechten Alltags in Deutschland, ist Volker Heise bekannt geworden. Mit seinem neuen Film „Vaterland“ porträtiert er ein kleines Dorf in Sachsen-Anhalt

Der Berliner Dokumentarfilmer Volker Heise ist ein Chronist derer, die durch und durch von den Bedingungen, unter denen sie zu leben haben, geformt wurde und oft dabei sind zu unterliegen.

In seinen bekanntesten Filmen „Stau“ und „Neustadt“ sind seine Protagonisten Teil einer rechten Alltagsnormalität. In seinem neuen Film „Vaterland“, im letzen Jahr auf dem Leipziger Dokumentarfilmfest mit der „Silbernen Taube“ ausgezeichnet, erzählt er von den Bewohnern von Straguth, einem abgelegenen sachsen-anhaltinischen Dorf, in dem nicht viel passiert. Außer, dass manchmal ein Hund bellt, seitdem die russischen Soldaten den nahe gelegenen Militärflughafen verlassen haben. Behutsam tastet die Kamera eine Gegend ab, in der man nicht Halt machen würde.

Die Einwohner, die sich meist in ihren Wohnungen aufhalten, weil es kaum Arbeit gibt, wirken deprimiert und zuweilen deprimierend, manchmal auch seltsam-lustig-renitent, wenn sie sagen „ich gehe nicht raus, warum soll ich denn rausgehen“. Heise lässt sie reden, sehr lange oft, ohne sie zu unterbrechen. Manchmal fehlen ihnen die Worte oder sie haben nichts zu erzählen außer das Naheliegendste. Das Dorf wirkt eng.

So, als hätte man mit dem eigenen Leben schon abgeschlossen, wird öfters betont, dass die Kinder das Ein und Alles wären. In zwei Gesprächen sagen Männer, die von ihren Frauen verlassen wurden, irgendwann fast unvermittelt, sie seien eigentlich ganz friedfertig, wenn aber jemand mutwillig ihren Kindern was zu Leide täte, dann hätte der ein Problem. Jeden Abend sitzen kettenrauchende Männer in der Kneipe von Otti, spielen Skat und sprechen von früher, vom Krieg und den Bomben oder wie es war mit den Russen. Der Kneipier hat an ihrem Durst ganz gut verdient, und nach der Wende hätten sie ihm sogar Luftabwehrraketen verkaufen wollen, erzählt er. Später streicht die Kamera über die verfallenen Russenkasernen, die in Kriegszeiten als Arbeitslager gedient hatten.

Das Haus des Manes, dem die Frau davongelaufen ist, ist ordentlich renoviert. Im Engels- und Weihnachtsmannkostüm singen zwei „Aber heitschi, bumbeitschi, bumbum“. Ein geschiedener Mann, der im Heim war und immer geschlagen wurde und später 14 Jahre wegen Totschlags im Knast war, sagt ständig über seine dreijährige Tochter „aber sie muss funktionieren“ und dass er sie nicht schlägt, sondern nur anbrüllt, wenn sie nicht funktioniert und erst mal eine halbe Stunde mit ihr kuschelt, wenn sie aus dem Kindergarten kommt. Eine Mutter mit blauen Haaren überlegt sich, eine Glatze machen zu lassen und auf die Glatze zu schreiben „ich bin cool“. Sie sagt „Ich bin froh, dass ich hier bin. Ich brauch doch nicht glücklich zu sein.“

In der Tristesse entfaltet Heises Film eine gewisse Schönheit. Am Anfang und am Ende des Films wird ein berührender Briefwechsel von ’44, zwischen einem Vater und seinen zwei Söhnen, die im Arbeitslager sitzen, zitiert. Einer dieser Söhne ist der Vater des Filmemachers. Weil das im Film nicht erklärt wird, wirken diese Briefe wie ein überflüssig weihevolles Ornament.

DETLEF KUHLBRODT

„Vaterland“, Regie: Volker Heise, 100 Min. Im fsk am Oranienplatz, Kreuzberg