Warum GTA so erfolgreich ist: Gewalttätig und sexbesessen
Vergesst die Musikindustrie, Hollywood war vorgestern: "Grand Theft Auto IV" übertrifft alle Verkaufsrekorde. Denn das Spiel spiegelt das Selbstbild der USA, sagt sein Schöpfer.
Vielleicht werden Videospiele erst ernst genommen, wenn sie erfolgreich sind. Wenn sie mehr Geld umsetzen als Hollywood-Filme, die zur gleichen Zeit starten. Wenn sie großflächig beworben werden, Plakate die Stadt pflastern und die Protagonisten überlebensgroß von Hauswänden herunterschauen. Wenn sie 100 Millionen Dollar Entwicklungskosten verschlingen. Wenn sie, wie "Grand Theft Auto IV", kurz "GTA IV" genannt, in einer Woche sechs Millionen mal gekauft werden und das als erfolgreichster Start eines Entertainment-Produktes ins Guiness-Buch der Rekorde aufgenommen wird. Vor "Spiderman 3", vor "Harry Potter".
Auch wenn Dan Houser diese Rechnung eigentlich gar nicht aufmachen will, Genugtuung verschaffen ihm diese Zahlen doch. Vor allem dann, wenn er nach der Relevanz von Spielen gefragt wird. "Wir haben von unserem letzten Spiel "GTA: San Andreas" 22 Millionen Stück verkauft. Welche Musik-CD schafft noch solche Zahlen?" fragt der in New York lebende Brite, der gemeinsam mit seinem Bruder Sam die Firma Rockstar Games leitet. Sie haben das Spiel erfunden. Die Musikindustrie haben sie damit in den Schatten gestellt und auch Hollywood fürchtet sich vor dem Spiel. Mehrere Filmstarts sind wegen dem Verkaufsstart von "GTA IV" verlegt worden, heißt es. Im Mai wird gespielt, nicht ins Kino gegangen. Dass die Spieleindustrie, die schon immer neidisch nach Hollywood blickte, jetzt frohlockt, ist klar. Doch muss ihr ebenso klar sein: Spiele wie "GTA IV" sind eine Ausnahme, nicht die Regel. Denn im Grunde funktioniert die Videospielindustrie noch genau so, wie Ende der neunziger Jahre. Damals gründeten die Housers ihre Firma Rockstar Games als Gegenentwurf zu den marktbeherrschenden Spielestudios.
"Wir wollten endlich die Spiele machen, die wir auch selber spielen wollen," sagt Dan Houser. Und erzählt vom Spielemarkt Mitte der 90er Jahre. Es gab knuddelige Kinderfiguren, Elfen und Trolle oder einsame Soldaten, die die Welt oder gleich das ganze Universum retteten. Aber nichts, was man spielen wollte, wenn man aus dem Club nach Hause kam. Nichts, was wirklich hip gewesen wäre. Rockstar-Spiele sollten anders sein, das drückt schon der Name der Firma aus. Sie sollten Erwachsene ansprechen, sollten Teil von Popkultur sein und sich nicht an den Vorlieben von "Herr der Ringe"-Fans orientieren. Rockstar-Spiele sollten cool sein. Und das sind sie geworden. Die unzähligen Versuche, "GTA" zu kopieren zeigen das. "Mir tun die Leute leid, die uns kopieren wollen," sagt Houser, "sie müssen einem Marketingplan folgen, nicht ihrem Gefühl."
Dan Houser kann seinem Gefühl folge. Auch weil er mit den Vorgängern von "GTA IV" so glänzend verdient hat. Denn Gefühle zählen nur, wenn sie sich gut verkaufen. Das gilt für Spieleentwickler wie Houser genauso wie für Madonna oder Steven Spielberg. Und mit diesem Gefühl kann er die Latte für das, was Videospiele sein können, ein gutes Stück höher legen. Und ein Werk vorlegen, das der zur Zeit wohl bissigste und lustigste Kommentar auf die USA ist . Gleichzeitig bewegend, brutal und liebenswert. Ein Spiel, das vor viele Schienbeine tritt, sich mit einem kurzen Lächeln dafür entschuldigt, um gleich wieder zuzuschlagen. Und dabei unglaublich viel Spaß macht.
Allein schon, wenn man mit dem Auto durch "GTA IV" fährt, kommt man aus dem Staunen nicht heraus. So echt, so lebendig wie der Schauplatz Liberty City hat sich noch kein Spiel vorher angefühlt. "Liberty City ist die Essenz von New York," sagt Houser, "unsere Interpretation der Stadt." Eine abgeschlossene, in sich stimmige Welt mit eigenen Radio- und Fernsehsendern. In ihnen treten echte Figuren auf: Iggy Pop zum Beispiel, Femi Kuti oder Karl Lagerfeld. Sie moderieren Radiosender, vermitteln den Klang der Stadt. "Wir lieben Musik," sagt Houser und begreift die achtzehn spieleeigenen Radiosender auch als Möglichkeit, Musikgeschichte zu lehren. Von John Coltrane zu den Bad Brains, von Bob Marley zum LCD Soundsystem, jeder Sender ist neu und überrraschend. Oft schaltet man das im Spiel integrierte Handy ein und lässt sich den Titel des gerade laufenden Stückes schicken, weil man mehr wissen möchte.
Freiheiten erlaubt sich "GTA IV" in der Neuinterpretation von New York: Da heißt die Freiheitsstatue "Statue of Happiness" und hält anstelle einer Fackel einen Kaffeebecher in der einen und eine Neuinterpretation der Unabhängigkeitserklärung in der anderen Hand. Es versteckt Waffenläden oder Stripclubs, in denen sich Spieler einen Table-Dance anschauen können. Es stellt Prostituierte an den Straßenrand, die man sich ins Auto holen kann. Der Vollzug wird verstohlen explizit dargestellt, immer knapp an der Grenze des Erlaubten entlang. Am Times Square laufen Terrorwarnungen über die Werbetafeln und im Radio ertönt immer wieder die "Fox News"-Satire "Weasel News". Motto: "Reporting THE RIGHT News". Spezialität: Terrorwarnungen, Polizeireporte und Klatschgeschichten.
Durch dieses New York-Konzentrat steuern die Spieler den serbischen Bürgerkriegsflüchtling Niko Bellic. Er macht auf der Suche nach dem amerikanischen Traum eine Kleingangsterkarriere durch, mordet und stiehlt und staunt immer wieder ungläubig über das bizarre Land, in dem er gerade gelandet ist. Genau wie die Spieler. "Wir wollten eine Figur haben, die neu und unvoreingenommen in das Spiel geht," sagt Houser, "genau wie die Spieler es tun sollen." Bellic trifft Mafia-Bosse, kleine Dealer, Geheimdienstmitarbeiter und Politiker. Niemand von ihnen schneidet wirklich gut ab.
"GTA IV" ist dabei schlau und bissig und wohl auch deshalb ein Dorn im Auge der Videospielgegner: Die Spieler verstünden doch die ganzen Anspielungen nicht, es gehe darum, möglicht viel zu metzeln. "Quatsch, sagt Houser. Natürlich verstehen die Spieler, worum es in "GTA IV" geht." Auch die Amerikaner: "Es sind nicht die Amerikaner, die verblödet sind, es sind ihre Medien, die für Idioten gemacht sind. Die Welt von GTA ist das, was Amerika wäre, wenn man seinen Medien glaubte," sagt Houser: "Gewalttätig, ängstlich, von Sex besessen und vernarrt in Waffen."
Schon die ursprüngliche Idee zur Ende der neunziger Jahre begonnenen "GTA"-Reihe war ein Medienkommentar. "Als wir nach New York gezogen sind, liefen im Fernsehen dauernd Verfolgungsjagden, aus dem Hubschrauber gefilmt," sagt Houser. Am bekanntesten wurde wahrscheinlich die Jagd auf O.J. Simpson: "Das war so absurd, daraus musste man ein Spiel machen." Es wurde eine ganze Serie. Die Grafik der ersten beiden Teile war simpel: Von oben sah man eine pixelige Figur, die Autos klaute, damit durch die Straßen brauste und Aufträge erledigte: Drogen schmuggeln, Morde begehen, Autos klauen. "Eine interaktive Version eines Gangster-Romans," nennt Houser das. Das war zwar neu in der Videospielewelt, viel bahnbrechender war aber etwas anderes: "GTA" gab Spielern Freiheit. Funktionieren die meisten Spiele so, das Level für Level abgearbeitet werden muss, man auf einer Linie durch da Spiel geleitet wird, so war "GTA" von Anfang an anders. Spieler können tun und lassen, was sie wollen: Der Geschichte folgen, einfach mit dem Auto durch die Gegend fahren und Musik hören, sich Verfolgungsjagden mit der Polizei liefern. Nach und nach wurde dieses Prinzip immer ausgefeilter. Geld konnte mit Taxifahrten verdient werden, ein Einsatz im Krankenwagen oder Feuerwehrauto schaltete kleine Spielehilfen frei. "GTA" machte aus Videospielen einen großen Abenteuerspielplatz.
Und schuf damit gleichzeitig auch die Basis für seine Kritiker. Denn die Freiheit ermöglichte es auch, Bilder herzustellen, mit denen man "GTA" als Mordsimulator bezeichnen konnte. Freiheit bedeutet in "GTA" auf der einen Seite, dass man mit dem Wagen Spritztouren ins Grüne machen konnte. Auf der anderen Seite allerdings konnte man auch mit dem gerade geklauten Auto in eine Menschenmenge rasen und gezielte Massaker begehen. Die Bilder, die man dabei erzeugt, eignen sich prima zur Verwendung im Kreuzzug gegen Videospiele. Dass so ein Verhalten ziemlich sicher zu einem "Game Over" führt, wird nicht erwähnt.
Dan Houser wirkt so gar nicht wie jemand, der die Kinder der Welt verdirbt. Dabei ist gerade das ihm und seiner Firma oft vorgeworfen worden, auch wenn er schon vor acht Jahren eines ganz deutlich gesagt hat: "Unsere Ideen sind nichts für Kinder." Dass aber Videospiele ein Medium sein können, dass sich durchaus an Erwachsene richtet, ist bei vielen Menschen noch nicht angekommen. Auch wenn das Durchschnittsalter von Spielern in den USA beispielsweise bei 33 Jahren liegt. Für viele ist das immer noch Kinderkram. Weshalb die "GTA"-Reihe in Deutschland als äußerst gewalttätig verschrien ist und in den USA ein verborgenes - und ziemlich albernes - Sexspielchen ein großes Skandalgeschrei erzeugte, in dem sich Hillary Clinton als Sauberfrau zu etablieren versuchte. Die Housers mussten vor Untersuchungsausschüssen in Washington aussagen, der ehemalige New Yorker Generalstaatsanwalt Eliott Spitzer ging wegen der Darstellung von Prostituierten gegen sie vor. Und stürzte dann als Gouverneur über eine Affäre mit einem Callgirl. Eine Ironie der Geschichte, die Dan Houser sehr gefällt, denn er hat in der "GTA"-Reihe zwei Dinge besonders gerne behandelt: Doppelmoral und Scheinheiligkeit.
Vielleicht wirkt "GTA" für viele so bedrohlich, weil sich das Medium Videospiele damit erstmals als wirklich ernsthafte Konkurrenz für Kino, Musik oder Fernsehen zeigt. Weil man "GTA IV" nicht als Kinderkram abtun kann. "Wir müssen uns nicht mehr mit dem Kino oder Fernsehen messen," sagt Houser, "die Zeiten, in denen wir dahin geschielt haben, sind vorbei. Es ist egal, ob man ein Buch liest, Filme schaut, Musik hört oder Videogames spielt, in jedem Medium gibt es intelligente Sachen und furchtbar dumme." Spiele, so sagt er, sind als Medium längst erwachsen geworden. "GTA IV" ist das erste Anzeichen dafür, dass sie auch als solches wahr genommen werden.
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