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Archiv-Artikel

Warten auf den guten Patriarchen

„Der islamistische Terror hat seinen Zenit am 11. 9. überschritten, und die Scharia ist kein BGB.“ Interview mit dem Islamwissenschaftler Gernot Rotter über machtgierigen Islamismus, die Repression und die Angst überall in der arabischen Welt und die Chancen einer Demokratisierung von oben

Interview EDITH KRESTA

taz: Herr Rotter, sehen Sie im Irak im aktuellen Chaos die Gefahr, dass es zu einem islamistischen Regime kommt?

Gernot Rotter: Vieles hängt von den führenden Köpfen des schiitschen Klerus ab, die recht verschiedene Vorstellungen haben. Falsch wäre es aber in jedem Fall, wenn die USA diesen schiitischen Klerikern von vornherein jedes Recht auf Mitbestimmung absprechen würden. Dies müsste ins totale Chaos führen. Ajatollah Mohammed Bakir al-Hakim hat, glaube ich, verstanden, dass eine Kopie der Republik Iran im Irak nicht machbar ist.

Welche Perspektive sehen Sie im Irak?

Im besten Fall eine föderale Struktur, denn die Kurden werden sich die relative Freiheit, die sie seit einem Jahrzehnt genossen haben, von der schiitischen Mehrheit nicht nehmen lassen. Allerdings kann eine Föderation auch zur Auflösung der staatlichen Einheit führen.

Nicht nur die Amerikaner reden von Demokratie, von Zivilgesellschaft in der arabischen Welt. Wie soll das gehen?

Es gibt einen tiefen Mangel an Selbstbewusstsein, dern Verlust des Selbstwertgefühls. Der erste Punkt müsste sein, dass in der arabischen Welt selbst ein Umdenken erfolgt – mit Unterstützung des Westens, ohne dass man die arabische Welt bevormundet. Im Westen muss man ehrlicher mit der islamischen Welt umgehen. Man kann nicht Demokratie predigen und sich die undemokratischsten Staaten wie Saudi-Arabien als Verbündete suchen.

Ist der Selbstwertverlust der arabischen Welt nicht vor allem selbst verschuldet?

Natürlich hängt das zusammen mit der Unfähigkeit der eigenen Regierungen, ein funktionierendes Sozialsystem aufzubauen. Minderwertigkeitskomplexe können sehr gefährlich werden. Das Gefährliche in der arabischen Welt liegt darin, dass man einerseits in Richtung Islam die eigenen Wert hochhält und dass man auf der anderen Seite in Verschwörungstheorien versinkt. Man will die Fehler nicht bei sich selbst sehen. Man sucht sie bei anderen.

Beruht das Minderwertigkeitsgefühl der Araber nicht auf einem kulturellen Selbstwertverlust der Patriarchen?

Alle die Potentaten treten meistens als Überväter auf. Und für diese Potentaten ist der Schutz der patriachalischen Gesellschaft wesentlich. Und der oberste Beschützer des Patrairchats ist in der Vorstellung der Leute der Islam. Obwohl die orientalischen Christen nicht geringer patriarchalisch strukturiert sind. Es ist eine historisch gewachsene gesellschaftliche Traditon. Um wirklich zur Demokratie zu kommen, wäre die Abschaffung des Patriarchats nötig oder zumindest seine Eindämmung.

Das kann lange dauern …

Das wissen wir. Es ist natürlich ein großartiges Argument für die Islamisten, zu sagen: Schaut euch die Unmoral im Westen an. Wollte ihr eure Töchter oder eure Frauen dahin kommen lassen? Da ist eine Riesenangst da. Die Familienehre hängt fast ausschließlich an der Tugendhaftigkeit der weiblichen Mitglieder.

Der Islam als Schutzwall gegen das Abbröckeln der eigenen Macht. Eigentlich müssten sich die Frauen davon distanzieren.

Es gibt in allen Ländern Emanzipationsbewegungen, aber dass diese einen hohen Stellenwert hätten, das kann man nicht behaupten. Die Frauenorganisation in den offiziellen Parteien, wie etwa der Baath-Partei in Syrien, vermögen hin und wieder schon etwas. Sie sind auch sehr aktiv, aber nur im Rahmen dessen, was politisch vorgegeben ist.

Und islamische Frauenbewegungen?

Die Frauen im Iran haben beispielsweise unter dem Deckmantel des Islam erstaunliche Mitbestimmungsrechte erworben; das wird man auch nicht so einfach zurückdrehen können.

Befürchten Sie in nächster Zeit verstärkt islamistische Anschläge?

Ich bin eher ein Anhänger von Fachkollegen in Frankreich, die sagen, dass der Islamismus seinen Zenit überschritten hat. Der 11. 9. war vielleicht so etwas wie einer der Schlusspunkte, und es zeigt sich im Grunde darin mehr Hilflosigkeit als vorausschauendes Denken dieser Bewegung. Mit dem neusten Anschlag in Riad ist der islamistische Terror, d. h. der Terror von al-Qaida, dort angekommen, von wo aus er seit vielen Jahrzehnten finanziert wurde: in Saudiarabien. Leider erst jetzt scheinen die USA zu begreifen, dass ihre Unterstützung des saudi-arabischen Regimes der zweitgrößte Fehler der Nahostpolitik war. Was wir an sonstigen Attentatsversuchen haben, das ist so dermaßen stümperhaft. Das würde ich eher unter die Rubrik „Absurdidäten“ packen und nicht als Fortsetzung des Terrors von Ussama Bin Laden sehen.

Sie glauben nicht an die Zunahme radikal-islamistischer Strömungen?

Das sind Bewegungen, die sich eine irrwitzige pseudoreligiöse Legitimation für ihren Terror und die eigenen Machtfantasien schaffen. Die weitaus überwiegende Mehrheit der „normalen“ Muslime lehnt dies ab. Nur in Saudi-Arabien besteht eine größere Bewunderung für al-Qaida, was im dortigen von der Regierung propagierten rigorosen Wahhabismus einerseits und in der Heuchelei und Bigotterie ebendieser Regierung anderseits seine Ursachen hat.

Und wie sieht es in Palästina aus, wo al-Qaida überdurchschnittlich viele Bewunderer hat und auch Hamas und Dschihad großen Zulauf haben?

Dort liegt es an der total verzweifelten Situation. Die einfache Bevölkerung in Palästina hat Saddam Hussein zugejubelt. Egal wer kommt, Hauptsache, es geht gegen Israel und Amerika. Das kann auch der Teufel sein. Aber wenn ich an Ägypten, Syrien oder Libanon denke, ist das nicht der Fall. Dort hat man gesehen, dass die Folgen fürchterlich sein können, und als Erstes hat das der Irak zu spüren bekommen, obwohl gerade dieser mit Islamismus nichts zu tun hatte.

Ist der Sender al-Dschasira ein Zufallsprodukt in der arabischen Welt?

Al-Dschasira ist ein Wunder! Er hat alle erwischt, vor allem die Araber selbst. Man dachte nicht, dass am geistigen und poltischen absolut rückständigen Golf, gerade in Katar am Ende der arabischen Halbinsel, so etwas entstehen könnte. Einer der Chefredakteure von al-Dschasira hat mir erzählte, wie es dazu kam. Ich weiß nicht, ob es nur eine Anekdote ist: Der neue Sultan hat Journalisten eingeladen und gesagt: Ich schaffe Geheimdienstapparate und Zensur ab. Das Geld, das ich dadurch spare, gebe ich euch. Und ihr macht endlich ein gescheites arabisches Fernsehen. Und sie haben was daraus gemacht. Es gibt kaum einen Haushalt in der arabischen Welt, wo abends nicht al-Dschasira gesehen wird. Das geht bis Mauretanien.

Also muss man in der arabischen Welt immer auf den guten Patriarchen warten?

Es muss von oben kommen, weil die Leute zu viel Angst haben. Die politischen Apparate sind zu repressiv. Und Demokratie ist zurzeit nicht das Hauptthema. Es gibt wirtschaftliche Nöte, und solange die Leute nichts zu essen haben und keine Berufsperspektiven, werden sie nicht über Demokratie diskutieren.

Bleiben wir beim guten Patriarchen. Hätte er einen strikt islamischen Wertekodex?

Nein, den dürfte er gerade nicht haben. So stellen es sich die Islamisten vor: den guten Patriarchen, der nach islamischen Gesetzen handelt. Aber das ist Schwachsinn! Die Scharia ist kein BGB. Sie ist eine Rechtsmethodik. Die wissen gar nicht, wovon sie reden, wenn sie die Scharia wollen. Es gibt nur ganz, ganz wenige Theologen unter den Islamisten. Sie sind engstirnig und arbeiten mit Schlagworten. Die Intelligenz nimmt sie nicht ernst. Aber, und das ist meine Kritik, die arabischen Intellektuellen sind zu defensiv.

Aber wie sähe ein guter Patriarch aus?

Wie aus dem Christentum kann man auch aus dem Islam sehr positive Werte ziehen. Mit dem Koran kann ich die schönste Friedensbewegung aufmachen.

Und jetzt zeichnen Sie mir den guten Patriarchen.

Es müsste ein moderner, durchaus mit westlichen Vorstellungen vertrauter Mensch sein, der sieht, wo es hapert in der orientalischen Gesellschaft. Er müsste mit einigen traditionellen Zöpfen aufräumen und Kirche und Staat trennen. Er müsste sich, um aus den Fehlern des Ägypters Sadat und des Schahs von Persien zu lernen, einen Theologenrat zulegen. Einen Theologenrat, der schaut: Was kann man mit der Religion im positiven Sinne, hin zu einer Demokratie anfangen?

Was spricht im Islam gegen Demokratie?

Es spricht überhaupt nichts dagegen.