■ Warren Rosenblum zur US-amerikanischen Außenpolitik: Der neue Wilsonismus
Da wir nun in Somalia alle zusammen sind, fern dem verregneten Deutschland und den Überschwemmungen des Mississippi, während wir exotische Gerichte probieren, Kugeln und Landminen aus dem Wege gehen, neue Menschen kennenlernen und aus Helikoptern auf sie schießen – wäre das nicht der rechte Zeitpunkt für die Frage: Warum sind wir hier?
Den Europäern ist es noch nie besonders leicht gefallen, den messianischen Internationalismus der Amerikaner allzu ernst zu nehmen. Als Woodrow Wilson in Versailles auftauchte und von einem gerechten Frieden sprach, von der Selbstbestimmung aller Völker und einer neuen Weltordnung, waren die Premierminister Frankreichs und Englands überzeugt, sie hätten einen glattzüngigen Yankee-Schwindler vor sich. Es war nur zu offensichtlich, daß Wilsons Ziele – das Ende des Imperialismus und die Ausbreitung des freien Handels – für die Vereinigten Staaten besondere Vorteile bieten würden, für die dynamischste Wirtschaft der Welt, die auf offene Märkte entscheidend angewiesen war.
Aber Wilsons Idealismus war „echt“, insoweit seine Prinzipien sowohl aus der eigenen Kultur der Vereinigten Staaten hervorgegangen waren als auch ein wesentliches Element seiner neuen progressiven Politik bildeten. Wilson konnte ein Höchstmaß an öffentlicher Unterstützung für seine Regierung gewinnen, indem er seine Politik in Begriffen der mythischen Verheißung umschrieb, der amerikanischen Sendung, allen Völkern ein Licht zu sein oder – mit den Worten der Puritaner – „eine Stadt auf einem Berg“.
Alle Versuche Wilsons, „die Demokratie zu exportieren“, nach Europa, Mexiko, Haiti und der Sowjetunion, wiesen (praktischerweise) auch ein Element des ökonomischen Eigeninteresses auf, aber zugleich entsprangen sie der unerschütterlichen Gewißheit, die Zunahme der amerikanischen Macht sei gleichbedeutend mit der Zunahme von Gerechtigkeit und Freiheit.
Der Wilsonismus als ideologische Leitlinie der amerikanischen Außenpolitik erlebte Aufstiege und Niedergänge, aber seine Grundannahmen sind in der amerikanischen politischen Kultur fest verwurzelt. Roosevelt versprach, die Nachkriegswelt solle nach dem Bilde Amerikas geschaffen werden. Kennedy erweckte die öffentlichen Leidenschaften, als er feierlich versicherte, die Amerikaner würden „jede Bürde auf sich nehmen, um die Freiheit der Menschheit zu erringen“. Und Reagan gab dem amerikanischen Stolz neuen Aufschwung, als er das Land an „jede Front“ führte, wo die Freiheit in Gefahr war.
Der Kalte Krieg hat in Amerika einen aufgeblähten Militärapparat und eine rhetorische Inflation nationaler Ziele hinterlassen – beide brauchen zu ihrer Betätigung die richtigen Ziele. Aber die amerikanische Öffentlichkeit ist zugleich der Weltangelegenheiten auch überdrüssig und begegnet der Möglichkeit langfristiger Engagements mit Vorsicht. In diesem Sinne gibt es das „Vietnam-Syndrom“ nach wie vor: Nicht, wie die Konservativen behaupten, als Angst vor Intervention überhaupt, sondern eher als Angst vor einer Intervention, die zu einer Niederlage führen könnte, bei der „unseren Jungs“ allzu große Opfer abgefordert würden.
Der neue Wilsonismus braucht daher auswärtige Abenteuer, die spektakulär sind, aber im Prinzip schmerzlos. Wir brauchen symbolische Interventionen. Ein gewaltiger Kraftaufwand gegen gewaltige Feinde – aber ein Kraftaufwand, der sich in Fernsehhäppchen erklären und innerhalb der Normaldauer eines typischen TV- Dokumentar-Dramas zu einem guten Ende führen läßt. (Der Golfkrieg und Wouks „Die Stürme des Krieges“ dauerten jeweils x Wochen.)
Die Somalia-Intervention hat diese neuen „Prinzipien“ des Handelns bisher perfekt illustriert. Während in den Vereinigten Staaten heute an den Problemen Afrikas nur mäßiges Interesse besteht (die „großen“ Zeitungen haben gewöhnlich zwei bis drei Korrespondenten für den gesamten Kontinent), ist die äthiopische Hungersnot von 1984–85 in lebendiger Erinnerung geblieben, weil sie von CNN „übertragen“ und von Rock-Stars verewigt wurde. Für die US-Streitkräfte bietet die Somalia-Intervention, wie General Colin Powell kürzlich in einem Artikel ausführte, eine Gelegenheit, sich nach dem Kalten Krieg ein neues Profil zu verschaffen.
In der Realität jedoch haben die amerikanischen Streitkräfte – wie bei jedem amerikanischen militärischen Engagement seit der Tet-Offensive in Vietnam – den Einsatz von Bodentruppen soweit als möglich durch die Luftwaffe ersetzt, selbst wenn sie damit das Risiko ziviler Verluste eingehen und die Guerilla die Möglichkeit erhält, die humanitären Hilfsbemühungen auf dem Boden zu behindern. Laut Reuters sind die Hilfsorganisationen, die in Mogadischu geblieben sind, in ihren befestigten Stützpunkten praktisch gefangen.
Die neuere amerikanische Obsession mit General Aidid, einem „flüchtigen“ Rebellen, der CNN erst kürzlich ein Interview gab, verleiht ihm die höheren Weihen einer großen Tradition der Überschurken der Dritten Welt, angefangen bei Idi Amin Dada in den Siebzigern über General Noriega bis zu Saddam Hussein, die sämtlich die Folie abgaben, vor der sich Amerikas edle Ziele abheben und die Leidenschaften der Öffentlichkeit ausleben konnten.
Der bloße Umfang der Somalia- Intervention macht deutlich, daß sie für eine rationale Gesamtstrategie gegen Hunger und Revolution in Afrika völlig wertlos ist. Während USA und UN ihre Mittel auf Somalia konzentrieren, betteln andere Länder um Hilfe. Liberia erlebte schon vor einiger Zeit den vollständigen Zusammenbruch seiner Regierung, und der Bürgerkrieg soll dort mindestens 130.000 Tote gekostet haben; Sudan und Zaire stehen vor ähnlichen Katastrophen und haben schon jetzt mit gewaltigen Flüchtlingsproblemen zu kämpfen, aber noch kürzlich haben sich die Vereinten Nationen geweigert, einen Friedensplan in diesem letzteren Lande zu unterstützen, und die USA halten eine nervöse Distanz aufrecht, obwohl sie sich während des Kalten Krieges in Zaire heftig (und schadenbringend) engagiert hatten.
So sind wir also in der Ära der humanitären Missionen angelangt. Das bedeutet natürlich nicht, die Außenpolitiker seien zu wohlmeinenden Idealisten geworden, die beim Frühstück Franz Fanon lesen und zu Bob Geldofs Musik tanzen. Vielmehr ist der „Humanitarismus“ – ein Stück Showbusiness mit gerade soviel Geschichte, daß die alten Mitspieler noch bei der Stange bleiben – zu einem politisch entscheidenden Element bei der Ausübung internationaler Macht geworden.
Es ist daher nicht besonders überraschend, daß die Deutschen gerade diesen Moment gewählt haben, um sich auf der Weltbühne zurückzumelden. Ihr Stichwort ist gefallen, und das Publikum spendet schon eifrig Applaus.
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