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WarenkundeWer cool sein will, muss jobben gehen

Die Jugend von heute ist faul: Dieser Satz ist veraltet. Die Konsumwelt bringt sie dazu, viel mehr zu arbeiten, als sie müsste - um sich ein Stückchen Glamour leisten zu können.

Brav arbeiten, ordentlich konsumieren: das sind die neuen Tugenden der Jugend. Bild: ap

Ein Satz, den man seit einiger Zeit fast gar nicht mehr hört, während er noch vor 30 Jahren zu den gängigsten gehört haben dürfte, lautet: Die Jugend von heute ist faul. Ja, es war üblich, dass die Älteren, von Wirtschaftswunderstolz durchdrungen, skeptisch, abfällig, auch tief beunruhigt auf die Jüngeren blickten, die nur in den gemachten Nestern zu hocken schienen, um es sich ohne viel Arbeit gut gehen zu lassen. Die Sorge, das hart Erwirtschaftete könnte vertändelt werden, war weit verbreitet.

Wenn jener Satz so gut wie verschwunden ist, mag das daran liegen, dass die heute Älteren gerade diejenigen sind, denen er früher galt - und dass sie ihre Kinder und Enkel nicht mit denselben Parolen nerven wollen, die sie selbst einst bis zum Überdruss hören mussten. Aber das ist nicht der einzige Grund. Vielmehr ist der Satz auch selten geworden, weil die Jugend tatsächlich mehr arbeitet als früher: Kaum ein 16-Jähriger hat nicht schon einen Job; viele Schülerinnen und Schüler sind ganze Nachmittage in der Woche oder zumindest samstags beschäftigt. Und wer an einer Hochschule unterrichtet, weiß, dass die Termine von Seminaren - egal, wann diese sind - immer mit Arbeitszeiten der Studierenden kollidieren. Die Entschuldigung, man könne wegen eines Jobs nur unregelmäßig kommen, ist mittlerweile selbstverständlich.

Der Grund dafür ist allerdings nur selten akute Not, sondern der Wunsch nach einem hohen Lebensstandard - danach, mit anderen mithalten zu können. Statt in den eigenen vier Wänden Freunde zu treffen, geht man lieber in angesagte Clubs; man telefoniert selbst dann mit dem - neuesten - Handy, wenn ein Festnetz in der Nähe ist; Klamotten, Kosmetik und die perfekte Ausrüstung für jede Sportart, die man ausübt, kosten ebenfalls Geld. Aber auch auf zwei Urlaube im Jahr würden viele nur ungern verzichten. Um all diese Ausgaben tätigen zu können, sich sogar ein Auto, ein paar Designermöbel und gehobene Unterhaltungselektronik leisten zu können, braucht es selbstverdientes Geld, auch wenn Eltern und Großeltern großzügig sind.

Bedenkt man, wie schlecht die meisten Jobs für junge Leute bezahlt sind und wie wenig Spaß es macht, an Discounter-Kassen zu sitzen oder Lager einzuräumen, dann erstaunt, dass viele sich all das zumuten, nur um etwas Komfort, Glamour und sozialen Status genießen zu können. Machen die schönen Gefühle, wenn man sich etwas Schickes leisten kann, denn die vielen kleinen Frustrationen wett, die man als Abhängiger auf den unteren Etagen der Arbeitswelt erfährt? Wäre es in der Bilanz also nicht besser, man verzichtete zwar auf die ein oder andere Anschaffung und Reise, müsste sich dafür aber nicht dauernd herumkommandieren lassen?

Konsumkritiker können diese Entwicklung als Beleg dafür nehmen, wie stark Werbung und Marketing die Menschen manipulieren. Der alte Argwohn, man werde nicht nur als Arbeitskraft ausgebeutet, sondern zudem dazu getrieben, das mühsam verdiente Geld für eigentlich unnötigen Konsum auszugeben, erhält zusätzliche Nahrung. Dass viele mittlerweile bereitwillig und selbstverständlich in den Kreislauf von Arbeit und Konsum eintreten, braucht jedoch nicht nur als negativ angesehen zu werden. Indem sie dies bewirkt, erweist sich die Warenwelt mit ihren Verheißungen von Freiheit, Jugendlichkeit, Coolness und Potenz vielmehr auch als enormer Sozialisationsfaktor: Sie erzieht (indirekt) mindestens ebenso wie etwa die Schule, setzt die Teilhabe an ihren Verlockungen doch Fleiß und Selbstüberwindung voraus. Man muss lernen, sich in einer Arbeitswelt ein- und vor allem unterzuordnen, mit lästigen oder sogar peinvollen Situationen zurechtzukommen, ja man erfährt die Grenzen der Verwöhntheit - nur damit man sich dann beim Shoppen selbst verwöhnen kann.

Hatten strenge Kapitalisten über Generationen hinweg die Sorge, der Wohlstand würde die Arbeitsmoral erlahmen lassen, so zeigt sich jetzt: Da er eine reiche, glitzernde Konsumwelt hervorgebracht hat, hat er auch die stärksten Anreize dafür geschaffen, mehr zu arbeiten, als man eigentlich arbeiten müsste. Inzwischen bedarf es keiner protestantischen Ethik mehr, um zum Fleißtier zu werden, sondern im Gegenteil sind es die von der Konsumwelt geweckten Wünsche, die die Menschen in höchst emsige, zuverlässige, selbstdisziplinierte und damit insgesamt auch sozial verträgliche Wesen verwandeln. WOLFGANG ULLRICH

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15 Kommentare

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  • MB
    M. Burr

    Fleiß oder Selbstgeißelung?

     

    Was früher als notwendige Erziehungsmaßnahme mit dem Rohrstock und Ermahnungen praktiziert wurde, ist heute ein selbstgefälliges Selbst-Peitschen durch konsumorientiertes Verhalten geworden.

    Wie schön wird uns doch von klein auf die Wunderwelt der massenkommunikativen Mittel vermittelt; ohne Frage, ein selbsterhaltendes System: Erfüllung für eine ganze Generation.

     

    Die Ausdruckskraft eines Fernsehers, der die neuesten Lippenstifte, den schönsten Urlaubsort, den angesagtesten Trend präsentiert und apodiktisch den Menschen instrumentalisiert, ist in der heutigen Zeit zur Normalität geworden.

     

    Platz zum Nachdenken haben wir nicht mehr - der Fernseher und seine Glitzerwelt haben das schon für uns erledigt. Der Taumeltanz zwischen Sein und Schein ermöglicht es uns allen, das Prinzip der absoluten Erfülltheit zu leben: Lust, Luxus, Last!

     

    Wo aber sind jene Werte, die uns ein Bildröhrenkasten nicht vermitteln kann? Wer führt uns? Zeigt uns, wie wir mit uns, unseren Gedanken und Meinungen umgehen sollen? Wollen wir das überhaupt noch?

     

    Der jugendliche Leichtsinn, alles bekommen und besitzen zu wollen, ist der Ansporn der Medienkonzerne, die Zündung, der Antrieb zur Fortbewegung der Konsumrakete. Wir erleben eine Explosion des Glücks, einen Nachhall der Euphorie und eine Stille über das, was wir im eigentlichen Sinne uns nicht zu denken trauen: Konsum verbindet, leitet, verleitet, entgleitet - wieviele Jugendliche und junge Erwachsene sind unter dem gruppendynamischen Druck ihres Freundeskreises schon zusammengebrochen? Haben kleinlaut alles versucht, um deren Entsprechungen und Ansichten gerecht zu werden?

     

    Wie lange wollen wir noch zusehen?

    Wie lange wollen wir uns noch selbst geißeln?

     

    Die Antwort auf das Ende, die Lösung auf einen Anfang ist da: Jeden Tag - wir sind es; ganz allein!

  • K
    KassandraOS

    Seit wann ist es "sozial", wenn man nur des Geldes wegen Jobs der untersten Schublade annimmt, damit man sich davon einen sozialen Status in der Gruppe und letztlich die egoistische Befriedigung von Scheinbedürfnissen nach der Werbung zu erkaufen??? Und das in der TAZ!

  • M
    miosotis

    mmh, ich habe den artikel gar nicht so verstanden, dass der autor diesen umstand lobt, sondern eher als feststellung und kritik, mit einem hang zur ironie.

    natürlich gibt es auch jugendliche, die jobben, um ihr studium zu finanzieren, aber insbesondere auf jugendliche ohne abitur, zu mindestens in meinem umfeld, passt dieses klischee sehr gut.

    mir ist dies in letzter zeit am beispiel meiner wohnung aufgefallen. für studenten wirkt diese fast spießig, von nichtstudenten wird sie eher belächelt. stühle vom sperrmüll? keine teure küche? ach lass gut sein, du brauchst die 4 euro mir nicht mehr geben..... na danke.

  • DM
    Die Meinung

    Ist doch ne feine Sache wenn die Jugendlichen arbeiten, besser als wenns sie auf Papa's oder Mama's tasche liegen...

  • J
    Julius

    Früher waren taz-Redakteure mal kritisch, witzig und links. Heute scheinen sie alle zu FDP-Wählern mutiert zu sein...traurig.

  • S
    skaninchen

    Sehr interessanter Artikel, der zur Zeit fuer mich sehr aktuell ist. Selber noch als Jugendlicher unterwegs bin ich vor 4 Monaten aus Deutschland gefluechtet, da ich den Konsumdruck nicht mehr mittragen wollte. Und ich bin nach Mexiko bzw inzwischen Ecuador zum reisen gegangen. Und ich denke gerade hier sieht man es noch viel staerker als in Deutschland. Zum einen eine recht niedrige Bildung, eine enge Gesellschaft und zum anderen die tausenden Moeglichkeiten sich ALLES auf Kredit zu holen macht die Leute hier noch viel unkritischer als in Deutschland denke ich. Zu Weihnachten gab es einen Krieg zwischen denen Geschaeften Geschenke mit bis zu 2 Jahren ohne Zinsen zu kaufen... Schoen oder.

     

    Naja was ich hier nur kurz erzaehlen wollte: ich bin absolut der Meinung meiner Vorredner, diese sozialisierung ist meiner Meinung eine Abtretung einer eigenen Identitaet zugunsten der Akzeptanz in der Gesellschaft durch Markenklamotten. Und das schlimmste an meiner Reise fand ich, dass dies in Kuba fast schlimmer als in Mexiko oder Ecuador ist.

     

    Arbeiten ist eine schoene Sache, auch in unteren Ettagen, wenn man sich dadurch neue Erfahrungen "erkauft" wie etwa Reisen in neue Laender oder dergleichen. Aber um damit nur zu konsumieren ist es der falsche Weg.

     

    Gruesse aus Quito

    Nick

  • M
    Marq

    "Haben oder Sein?"

    "Gut leben statt viel Haben"?

     

    Schade und zutiefst deprimierend, dass mit neuen Generationen die Vision von etwa E. Fromm offenbar immer weiter in die Ferne als in die Nähe zu rücken scheint.

    Sich dem individuell allen zu entziehen bedarf schon einer revolutionären Stärke und eines selbstsicheren Bewusstseins gegen "das System", deren Entwicklung sich angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise (Krise = Chance?) eigentlich böte... doch ein reflexartiges "mehr desselben" und die angsterfüllte Stützung unseres morbiden globalisierten Wirtschaftswachstums und "ich will, dass alles so bleibt: mein auto, mein haus, meine nikes, mein handy, mein ipod" - konsum um die welt zu retten... da stimmt irgendwo was nicht...und die 2. nutellageneration bekommts, während im "world-of-warcraft", nichtmal mit, dass draußen wärmer wird...

  • FK
    Frau Kirschgrün

    Derartiges ausgerechnet in der taz lesen zu müssen entsetzt mich zutiefst. Seit wann wird hier Anpassung und Konsum- bzw. Geldanbetung gepredigt? Haben sich die "tollen" Liberalen hier auch schon eingeschlichen? Ich stimme Dr. Schreck, Götz und Guillem absolut zu. In dieser unserer Bananenrepublik gelten keine ethischen Prinzipien wie Freiheit (auch und gerade WAHLfreiheit), Achtung und Gerechtigkeit mehr, es kann sich hier auch niemand mehr aussuchen, ob er mit wenig Geld auskommen will und dafür dann weniger arbeiten muss. Entweder volle Ausbeutung und Unfreiheit bis zum Herzinfarkt, was dann mit Konsum(terror) kompensiert wird, oder arm wie eine Kirchenmaus mit gar keinem Anteil am gesellschaftlichen Leben mehr (offener Vollzug = HartzIV). Tolles Land. Egal ob für "Jugend" oder ältere Menschen.

  • J
    Johannes

    also ich weiss nicht welche jugend hier gemeint wird. ich hab eine wohnung, die ist warm und essen hab ich auch. ab und zu geh ich weg.

    autos braucht mensch nicht, design und so ein schmu sowieso nicht, dann muss man auch nicht arbeiten gehen...

  • T
    treba

    Wie du kommst am wochenende nicht in die disco? Nicht auf das festival nächsten monat? Das spiel, das wir alle spielen läuft auf deinem rechner nicht? In den sachen willst du draußen rumlaufen?

     

    Der einzige hoffnungsschimmer sind da die alternativkulturen, die sich explizit dagegen wehren. Ich frag mich, ob manche von den superangepassten irgendwann mal ihre jugend vermissen werden.

  • I
    iBot

    Danke Herr Schreck.

     

    Es gibt durchaus auch Studenten, die Miete und Nebenkosten zu tragen haben, Studiengebühren zahlen und sich nebenher ernähren müssen. Und nicht alle Eltern und Großeltern sind großzügig.

  • G
    Guillem

    An den Befürwörtern dieses neuen Sozialvertrages:

     

    Ich bin selbst noch ein "Jugend" (obwohl schon zu alt um jung zu sterben...), der vielen anderen Jugend kennt, die entweder "Faule" oder "Hamster" sind (nach den Begriffen vom Artikel und vorherigen Kommentaren).

    Von den, glücklich sind nur diejenigen (äußerst hochgebildet und weise), die bewusst auf heute vieles, morgen unbekannt vielfaches mehr, verzichten.

    Der Rest rutscht langsam unter dem Rad, denn den Wohlstand so wie ihren Eltern (und sie) es verstehen und genießen (wollen), werden sie nie erreichen (können).

     

    mit freundlichen Grüßen,

    G.Aranda

     

    PS: Entschuldigung fürs gebrochene Deutsch eines Südländers.

  • A
    Alchemy
  • DS
    Dr. Schreck

    Dem Kommentar von Götz ist eigentlich nur noch hinzuzufügen, dass der Begriff "die Jugend" wiedermal die Jugendlichen unterschlägt, die im Hamsterrad des Konsumierens nur deswegen mitlaufen, um sich, z.B. im Studium, überhaupt finanzieren zu können, also nicht, um die neuesten Sneakers tragen zu können, sondern um sich noch ein zweites Paar Schuhe zum Wechseln zu kaufen, oder diejenigen, die dieses miese Spiel durchschauen und überhaupt nicht mitlaufen wollen. Diese stoßen dann bei ihren freiwillig strampelnden Artgenossen wiederum auf Gruppengrenzen, und schon haben wir wieder einen vom Kapitalismus gesteuerten Ausgrenzungseffekt. Gratulation!

     

    Da ist mir die faule Jugend doch lieber, die diesem Konsumkrampf ein Dorn im Auge oder ein Stachel im Hintern ist.

     

    Mit freundlichen Grüßen,

     

    Dr. E. Schreck

  • G
    Götz

    Das aus der Taz heraus die Angepasstheit gelobt wird, ist mal bemerkenswert. Sicher lernt der Jugendliche beim Jobben viel Nützliches, aber die Gefahr ist doch, dass er in erster Linie zu einem braven Hamster im Hamsterrad geformt wird. Wenn die Anreize zur Entwicklung zunehmend von Konsumartikeln, vor allem Status- und Identityshopping, ausgehen, werden die Betreffenden meiner Einschätzung nach nicht glücklicher - aber wesentlich leichter zu regieren. Und diese Hamster setzen dann die Maßstäbe, anhand derer Abweichler unverstanden und abgewertet werden. Es lebe die Oberflächlichkeit!