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Wandern in den PyrenäenViel Regen, viel Grün

Fernwandern von Cauterets nach Luz-Saint-Sauveur. Die rund 50 Etappen des Wanderwegs GR 10 führen quer durch die Pyrenäen vom Atlantik bis zum Mittelmeer.

Der Felsenkessel Cirque de Gavarnie an der französisch-spanischen Grenze. Bild: imago/Alimdi

Tobend und tosend stürzen die Wassermassen in die Tiefe. Eine schmaler, glitschiger Holzsteg führt über den Wasserfall. Es ist so laut, dass wir uns kaum verstehen. Gischt sprüht uns ins Gesicht, als säßen wir unter einem Zerstäuber auf einer sonnigen Café-Terrasse. Die französischen Pyrenäen sind bekannt dafür, dass es häufiger mal regnet, deswegen sind sie auch so grün. Und irgendwo muss das ganze Wasser ja auch wieder runterkommen.

Wenn dann noch die Schneeschmelze hinzukommt, dann sprudelt, gluckst und schäumt es alle paar Meter. Wanderer sind gut bedient, wenn sie zwei Stöcke haben, um beim Kieselhüpfen über die vielen Bergbäche die Balance zu halten.

Vier Tage lang folgen wir den rot-weißen Streifen, die den Fernwanderweg GR 10 auf Bäumen und Felsen markieren. Wo die Streifenmaler keinen geeigneten Untergrund finden, bauen sie Steinmännchen, die den Wanderern den Weg weisen. Eine partizipative Wegmarkierung, denn manche legen hier und da noch einen Kiesel dazu, damit die Nachfolgenden sie leichter entdecken.

Rund fünfzig Etappen führen von Hendaye am Atlantik nach Banyuls am Mittelmeer. Wir haben uns den schönsten Abschnitt ausgesucht, der von Cauterets durch den Pyrenäen-Nationalpark mit dem berühmten Cirque de Gavarnie bis nach Luz-Saint-Sauveur führt.

Ein paar Meter hinter dem Wasserfall überqueren wir eine Straße, es riecht nach Hölle oder nach verfaulten Eiern, die ein Wanderer im Rucksack vergessen hat. Um Besucher nicht zu verschrecken, haben die Franzosen ein Schild aufgestellt: „Der Geruch kommt von den schwefelhaltigen Quellen“. Wo Schwefel im Wasser ist, sind Thermalbäder nicht weit. Gute Aussichten für geschundene Wanderwaden.

Pyrenäen Wanderung

Anreise: Die nächsten Flughäfen sind Pau und Toulouse. Mit der Bahn nach Lourdes, dann mit dem Bus weiter nach Cauterets.

Reisezeit: Am besten im Juni oder September, wenn es im Cirque de Gavarnie noch herrlich ruhig ist. Allerdings ist die Hourquette dOssue dann oft noch verschneit und nur bei gutem Wetter zu überqueren.

Unterkunft: Berghütten des französischen Alpenvereins CAF (Réfuge des Oulètes, La Grange de Holle) mit Etagenbetten und Gemeinschaftsduschen. In Cauterets, Gavarnie, Luz finden sich viele Gästezimmer und Pensionen.

Am herrlichen Lac de Gaube, den wir just zur Picknickzeit erreichen, haben sich schon Schriftsteller wie George Sand und Victor Hugo erfreut. Früher ließ sich die feine Gesellschaft in Tragsesseln zu dem türkisfarbenen Bergsee auf 1.725 Höhenmetern hinaufbefördern.

Das Wasser ist am Ufer so klar, dass jeder Kiesel am Grund mit seiner feinen Maserung zu erkennen ist. Rechts und links des Tals steigen die Felsen steil an, dass man glauben könnte, die Gämsen dort oben müssten jeden Moment herunterkullern. Und am Horizont: der schneebedeckte Gipfel des Dreitausenders Vignemale, des höchsten Berges der Pyrenäen auf französischer Seite.

Schnee auf 2.700 Meter

Der GR 10 lässt die großen Gipfel aus, die ohnehin nur mit entsprechender Ausrüstung zu erklimmen sind. Aber um ins nächste Tal zu kommen, steht uns immerhin ein Pass auf 2.700 Höhenmetern, die Hourquette d’Ossue, bevor. Es soll noch Schnee da oben liegen, heißt es. „Wenn ihr zu früh losgeht, ist er noch gefroren. Wenn ihr zu spät dran seid, sinkt ihr ein“, gibt der Hüttenwart uns – nebst Nudelsalat in der Dose – mit auf den Weg.

Beim Aufstieg keuchen wir, während wir versuchen, die Wanderschuhe in den verharnischten Schnee zu keilen. Jetzt bloß nicht nach unten schauen. Warum liegen wir nicht am Ufer des Lac de Gaube in der Sonne, der tief unter uns wie eine blaue Murmel im Tal liegt? Kein Mensch weit und breit, die Pyrenäen sind eben nicht die Alpen, wo man an vergleichsweise schönen Orten schon mal zu Dutzenden picknickt.

Auf den letzten Metern vor dem Pass fühlen wir uns wie in einer Schneewand gefangen. Wie mag es bloß auf der anderen Seite aussehen?

Weiß gefleckte Felsmassen

Zum Glück geht es dort nicht ganz so steil wieder hinunter. Die Aussicht ist zum Gänsehautkriegen schön. Die Nordseite des Vignemale, die mit gut 1.000 Metern nahezu senkrecht abfällt, die weiß gefleckten Felsmassen am Horizont, als habe jemand Puderzucker über die zerklüftete Landschaft gestreut.

Vor uns liegt ein weites Schneefeld, angetaut genug, dass wir bis zu den Oberschenkeln hineinsinken. Quietschvergnügt wie Kinder im ersten Schnee der Saison laufen und rutschen wir den weißen Hang hinunter, die Hacken immer schön voran.

Bald lösen farbenfrohe Blumenwiesen die Schneefelder ab. Kurzstängelige gelbe Narzissen wiegen sich im Wind, tiefblaue Enziane recken ihre Kelche den Hummeln entgegen, violette Blüten erinnern an kleine Hüte mit Fransenrand. Die riesige Artenvielfalt der Pyrenäen ist ein Grund dafür, dass Käse und Honig besonders gut schmecken: Schafe und Honigbienen haben hier einen höchst abwechlungsreichen Speiseplan.

Abstieg mit deftigem Nudelgericht

Der Abstieg ist lang und geht in die Oberschenkel. Die nächste Hüttenwirtin empfängt uns mit aufmunternden Worten und sämiger Gemüsesuppe, in der daumendicke weiße Bohnen schwimmen. Aber die „Garbure“, ein traditionelles Pyrenäenrezept, ist nur der Auftakt zu hausgemachter Pastete, einem deftigen Nudelgericht, würzigem Pyrenäenkäse und einem schokoladigen Nachtisch.

Der folgende Tag ist für Genusswanderer: nur wenige Höhenmeter, dafür ein Naturschauspiel, angesichts dessen schon Victor Hugo nach Worten rang. „Es ist ein Berg und eine Mauer zugleich, es ist das geheimnisvollste Bauwerk des geheimnisvollsten aller Architekten, es ist das Kolosseum der Natur, es ist Gavarnie“, schrieb der Schriftsteller über das von Felswänden eingefasste Halbrund. Während der Schneeschmelze stürzen sich ein gutes Dutzend Wasserfälle in die Tiefe, darunter der längste Europas mit 423 Metern.

Der letzte Wandertag führt durch wadenkratzende Rhododendron- und Blaubeersträucher in den Thermalkurort Luz-Saint-Sauveur. Am Ortseingang steht das Thermalbad, das in der Vergangenheit illustre Kurgäste hatte – etwa den französischen Kaiser Napoleon III. Heute empfängt man dort zum Glück auch erschöpfte Wanderer, die sich im Whirlpool die Muskeln massieren lassen.

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