Wand und Boden: Die schönste Nebensache der Welt
■ Kunst in Berlin jetzt: Manfred Miersch, essentielle Nebenprodukte, Xu Bing
Es ist ein Kreuz mit der Musealisierung, daß sie der aufmüpfigsten Kunst stets mit Sympathie begegnet. Das gilt für Duchamps „Urinoir“ oder Warhols Marilyn ebenso wie für die Direktiven der Konzeptkunst oder Koons' Staubsauger. Auch Manfred Miersch fühlt sich durch die versöhnlichen Angebote des Betriebs übervorteilt. Eher schon versteht er seine Ausstellung „1997“ als Leerstelle: Obwohl das Haus am Lützowplatz ihm eine Retrospektive eingrichtet hat, mag der 36jährige Berliner von seinen Arbeiten nur als „Fundus“, „Teilstück“ oder „Lagerraum“ sprechen.
Doch weil Kunst in ihrem immer noch ziemlich engen Kontext eben genauso funktioniert wie eine Kloschüssel im Sanitärgeschäft, behalten auch die Gegenstände ein hohes Maß an Artifizialität. Was immer Miersch an zeitgenössischer Kunst zitiert, systematisiert und serienweise hinter Bretterwänden verschwinden läßt, kehrt in der Galerie als obskures Objekt der Institutionskritik zurück. Der formschöne „Bilderschrank“, in dem er Gemälde, Skizzen oder Portraits aufbewahrt, wirkt wie das karge Mobiliar eines Minimalisten. Und die zum Sockel gefaltete Zeichnung ist von vornherein als Skulptur präsentiert, so daß sich die Ironie im Finish verliert. Mitunter reagiert Miersch auf diese Übermacht der Rahmenbedingungen mit einer doppelten Verkehrung. Dann hängen dekorativ im Stil eines Jackson Pollock oder Marcel Broodthaers betröpfelte Gipselemente an der Wand, denen ihr Wert – 680, 880 oder 1.280 Mark – eingeprägt wurde. Während Barbara Straka im Katalog grübelt, ob der Verkaufspreis als absolute Kategorie den Werkbegriff aufhebt, hat es der Besucher leichter. Er kann einfach in einer Liste am Counter nachsehen.
Bis 28.6., Di–So 11–18 Uhr, Lützowplatz 9
Auch die vier KünstlerInnen in der Studio Galerie des Hauses mögen sich nur zögernd darauf festlegen, was ihre Arbeiten verkörpern sollen. Sie haben sich auf den Begriff „essentielle Nebenprodukte“ geeinigt: Fotostrecken mit verwischten Schnappschüssen, aktionistisch bemalte Leinwände, Biographisches in Becherform und Genreszenen mit Küchentischen im Computerdruck. Das Ganze stellt sich als „Produkt formaler und thematischer Recherchen“ dar, denen der Zufall Gestalt gegeben hat, schließlich ist Kunst die schönste Nebensache der Welt.
Joanna Jones möchte man diesen Umgang mit den Unwägbarkeiten des Alltags gerne glauben. Die 1945 in England geborene Performance-Malerin braucht für ihre großformatigen Gemälde nicht einmal Pinsel – der eigene Körper und einige Töpfe mit schön flüssig angemischter Farbe reichen völlig aus. Während man auf den Bildern sehr dynamisch ineinandergeschobene Flächen erkennt, dokumentiert eine Diashow von Laura Padgett, wie Jones nackt über die Leinwand robbt, so daß sich die Form aus der Bewegung ergibt. Daneben bleiben Padgetts eigene situationistische Foto/Text-Kombinationen oder Jörg Simons tagebuchartigen Serien mit Autos, Schattenspielen und Prothesen eher in sich gekehrt. Überhaupt schimmert aus allen Arbeiten der subjektive Faktor hervor, Peter Melville etwa hat für seine „Bio-Doc Cups“ Postkarten filigran zu Zylindern vernäht. An den Briefmarken erkennt man, daß sie aus Amerika abgeschickt wurden. Der Adressat bleibt unbekannt.
Bis 28.6., Di–So 11–18 Uhr, Lützowplatz 9
Xu Bings Installation im Haus der Kulturen der Welt sieht aus wie ein Zimmer von Ilya Kabakov. An schwarz lackierten Tischen kann man Chinesisch schreiben lernen, aber die Zeichen sind in Quadrate gepreßt, so daß ihre typischen geschwungenen Linien verloren gehen. Damit verschwindet aber auch die Bedeutung der Buchstaben. Bei Xu Bings parallel entstandener Arbeit in der Galerie Asian Art Now! hingegen funktioniert die Aneignung fremder Kultur. Dort hat er Teile des hölzernen Bodens auf dünnen Papierbahnen abgedruckt. Die Blätter sind dabei keine ironische Spielerei mit Nonsense, sondern Spurensuche nach dem politischen Kampf der Weimarer Republik.
Überhaupt gräbt der 1955 geborene und mittlerweile in New York lebende Xu Bing gerne in der Geschichte. Als Ende der achtziger Jahre Pekings Studenten den Konflikt mit dem Regime suchten, zog sich der Kunstlehrer aus der Akademie zurück, weil ihm zuviel diskutiert und zuwenig produktiv gearbeitet wurde. Statt zu demonstrieren schnitzte er nicht dechiffrierbare Worte in Holzstücke, die er als „Book from the sky“ in Bücher, auf Rollbilder und Wandzeitungen druckte. Ansonsten blieb Xu Bing trotz der Unruhen schweigsam.
Für die Galerie in den Sophiensälen hat er das Schicksal der deutschen Kommunisten ähnlich stumm aufgearbeitet. Das Haus in der Sophienstraße 18 wurde 1905 für die Handwerkervereinigung erbaut, am 27.10. 1918 rief Karl Liebknecht von hier aus zum bewaffneten Arbeiterkampf auf, und vom 1. bis 3.11. 1920 wurde der 5. Parteitag der KPD in diesem Gebäude abgehalten. Während des Zweiten Weltkrieges dann sammelte die NSDAP am gleichen Ort ausländische Zwangsarbeiter. Hat sich die Geschichte dem Raum eingeschrieben? Für Xu Bing jedenfalls finden sich all diese Erinnerungen auf den abgetretenen Fußbodendielen wieder. Man muß die „lost letters“ nur lesen können.
Bis 22.6., Di–Fr 14–20, Sa 12–18, So 16–20 Uhr Harald Fricke
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